Singer’s World

Isaac Bashevis Singer.

Ich weiß nicht, wem unter Ihnen der Namen etwas sagt, ich bin Anfang der achtziger Jahre über Singers großen Roman „Die Familie Moschkat“ auf der Münchner Auerdult gestolpert. Es war eine Mark, die gut investiert war, denn aus diesem Roman habe ich mehr über das Ostjudentum und seinen Untergang erfahren als aus all den bemühten Geschichtsstunden in einem deutschen Gymnasium.

Vor etwa zwei Monaten fiel mir „Eine Kindheit in Warschau“ von selben Autor in die Hände und damit erwachte der Wunsch nach langer Zeit wieder einmal nach Warschau zurückzukehren und mich auf die wenigen verbliebenen Spuren des Judentums in der polnischen Hauptstadt zu begeben. Ich wollte gerne sehen ob noch der eine oder andere Stein aus den Straßen, in denen vor dem ersten Weltkrieg die aus den Schteteln nach Warschau strebenden Ostjuden Quartier machten vorhanden war.

© 2019 Thomas Michael Glaw

Ich war mir durchaus bewusst, dass es wahrscheinlich ein sinnloses Unterfangen werden würde und doch wollte ich einfach da gewesen sein. Wir haben uns in Warschau, wie in den meisten Städten, wenn wir reisen, mit Bus und Tram bewegt. Zum einen sieht man mehr, zum anderen sind diese Verkehrsmittel bei weitem nicht so steril wie die U Bahn. Trotzdem ist es schwer in Warschau mit irgendjemand ins Gespräch zu kommen. Sicher gibt es eine Sprachbarriere, aber viele junge Polen sprechen genügend Englisch um eine Konversation zu führen. Trotzdem kommt, anders als in Rom oder Madrid einfach kein Gespräch in Gang.

Isaak Singers Vater war Rabbiner in der Krochmalna, einer Straße, die es auch heute noch gibt. Natürlich weiß ich, dass die deutsche Wehrmacht das Ghetto dem Erdboden gleichgemacht hatte und wenig später den ganzen Westteil Warschau. Trotzdem hoffte ich Spuren zu finden. Die ältesten noch erhaltenen Bauten befanden sich in einem furchtbaren Zustand. Furchtbar? Doch. Dem Verfall nahe oder wahlweise geschmacklos in ein neues Gebäude integriert. Und doch spürte man, wenn man den Gebäuden näher kommt, ein wenig den Atem der Geschichte. Das klingt zu pathetisch? Mag sein, aber so habe ich es empfunden. Und gerochen. Feuchtigkeit. Moder.

© 2019 Thomas Michael Glaw

Während man an anderen Orten auf pathetischen Protz wert legt, scheint der Erhalt der wenigen noch erhaltenen Gebäude, die ein Gefühl für die vergangene Zeit erahnen lassen, niemand zu interessieren. Wenn man vor ihnen steht wünscht man sich bestenfalls einen Schutzhelm oder wechselt die Straßenseite.

Trotzdem kann man sich die Enge, die Dunkelheit, den Pferdemist auf den Straßen vorstellen, wenn man dort in einem Hauseingang steht. Es waren eher die Presslufthämmer im nächsten Gebäude, die störten. Szenen aus dem Buch bewegten meine Fantasie, ebenso wie wie der Blick auf die Weichsel am Tag zuvor. Singer beschreibt einen Ausflug an den Fluss mit einem Freund.

© 2019 Thomas Michael Glaw

Ein Besuch auf dem jüdischen Friedhof beschloss unsere Reise in die Vergangenheit. Andern als in Prag, wo der alte jüdische Friedhof ein Touristenmagnet ist, durch den stündlich hunderte Besucher geschleust werden, liegt der jüdische Friedhof in Warschau still, fast verschlafen da. Bäume hängen schräg zwischen anderen, die Gemeinde bedankt sich für die Spende von 2,50 Euro, damit man den Friedhof besuchen kann. Eine fast unendlich scheinende Zahl von Gräbern, eng beieinander, bedecken den Waldboden. Langsamer Verfall, neben von Nachgeborenen veranstalteter Prahlerei macht nachdenklich, beschwört die Vergänglichkeit. Als wir uns aus der Vergangenheit lösten, die schattigen und von Spinnweben bedeckten Gräberfelder hinter uns lassen und uns wieder dem Hauptweg nähern, geraten wir in eine von Videokamera und Fotografin begleiteten Gruppe von jungen Israelis, die auf der Suche nach, ja was, in wenigen Minuten durch den Friedhof gescheucht werden. Eine andere Gruppe ist bereits auf dem Rückweg und vor dem Friedhof stehen vier weitere Busse. Finden werden sie in diesem Tempo nichts. schon gar nicht die Vergangenheit.

Isaac Singer hätte sicher eine Geschichte daraus gemacht. Ich traue mich nicht.

Warschau: Eine Suche

Vor 44 Jahres war ich das letzte Mal in Warschau. Ich war durchaus zwischendurch in Polen, meistens jedoch in Schlesien. Dort läuft das Leben ein wenig langsamer als im hippen Warschau, wo ich gestern ankam. Aber ich übertreibe. So hip ist Warschau nämlich gar nicht, auch wenn es das wohl gerne wäre. Natürlich gibt es auch hier all das Jungvolk, das nichts besseres zu tun hat, als auf diesen wunderbaren neuen elektrischen nicht-mehr-Tretrollern durch die Straßen zu pesen, natürlich sind auch hier sämtliche Sushi Bars mittags von jungen Männern in Konfirmationsanzügen in verwaschenem blau bevölkert, die mit nackten, stachligen Männerbeinen in Sneakern demonstrieren, dass sie voll im Trend liegen. Und auch all die gebräunten jungen Damen , die ihre nackten Beine in kurzen Röcken auf dem abendlichen Weg zum Weichsel Strand möglichst dekorativ in der Tramlinie 4 arrangieren, auch sie sind natürlich voll hip.

Markthallen wie in der Provinz – © 2019 T M Glaw

Daneben gibt es aber noch die vielen jungen Familien, die die Einkäufe nach Hause schleppen, die vielen alten Frauen, die sich mit dem Rollator aus Jaruzielskis Zeiten durch die Stadt bewegen und die vielen alten Männer in Unterhosen auf irgendwelchen baufälligen Balkonen, die morgens um elf wohl schon ein Rendezvous mit der Wodkaflasche hatten.

Wenn man als Deutscher nach Warschau kommt, egal wie jung oder alt man ist, wird man den letzten Krieg nicht los. Es waren die Deutschen, die diese Stadt auf der Westseite der Weichsel dem Erdboden gleich gemacht haben – auch wenn die rote Armee auf der Ostseite einfach tatenlos zugesehen hat. Zumindest verdanken wir dieser Tatsache heute einen außerordentlich kreativen Stadtteil namens Praga, der sich in den vergangenen 6 Jahren von der dunklen Seite Warschaus zur hippen gemausert hat. Na ja,da haben wir es wieder: hip … Sagen wir lieber chaotisch – kreativ, das wird man dort lieber hören und es entspricht auch eher der Wahrheit. Ein wenig wie die Anfänge von Haidhausen vor dreißig Jahren, wenn ich das mal als Wahlmünchner so behaupten darf. Ich bin gespannt, ob man hier in Warschau die Gentrifizierung aufhalten kann, oder ob die Jüngelchen mit ihren gestylten Mädels und den Konfirmantenanzügen hier demnächst auch Einzug halten. Natürlich mit Bart. Bei so manchem fragte ich mich heute Mittag, ob letzterer vielleicht doch aus einem Theaterfundus stammt – irgendwie war das Kind zu jung dafür.

Wandkunst – © 2019 T M Glaw

Der Wandel der Bausubstanz ist faszinierend. Neben den überwiegend aus den fünfziger Jahren stammenden Plattenbauten stampft man ein Hochhaus neben dem nächsten aus dem Boden. Durchaus wagemutige Architektur, nebenbei bemerkt. Liebeskind lässt grüßen. Das faszinierende ist, dass es irgendwie ein Gesamtbild ergibt. Das Störenste ist vielleicht die nach dem Krieg nach den Canaletto Bildern wieder erstandene Stare Miasto, die Altstadt, heute das Mekka der Touristen und der Con-Artisten. Wie haben sie nur kurz gestreift und eigentlich war das schon zu viel.

Einkaufzentrum im Herzen Warschaus – © 2019 T M Glaw

Kann man die vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Deutscher in Warschau vergessen? Ich glaube nein, aber all das Leben, das um einen herum passiert, zeigt, dass die Zeit weitergeht. Was könnte es besseres geben, als in der Geschichte verankert zu sein, während das Leben weiterhin seine Geschichten schreibt.

Shades of Crime

Keine Angst.

Hier wird niemand gefesselt und gibt auch keine albernen Sexspielchen. Höre ich da ein Bedauern? Sorry, Ladies … and Gentlemen. Mir geht es wieder einmal um zwei meiner Lieblingsthemen: Schwarz – Weiß Fotografie und Kriminalromane. Abgesehen von einigen anderen unternehmerischen Aktivitäten verdiene ich mich beiden einen Teil meines Lebensunterhalts und zugleich machen sie mir sehr viel Spaß.

Warum also Shades of Crime?

© 2019 Thomas Michael Glaw

Nun, ich wollte nicht auf Shades of Grey zurückgreifen, denn es erschien mir, wie soll ich sagen, besetzt 🙂 . Gute Kriminalromane drehen sich um die Zwischentöne im menschlichen Leben. Wir betrachten die Welt zwar gerne als einen Zirkus in schwarz und weiß, zumal in Deutschland, wo die Medien immer genau zu wissen scheinen, wer der Gute und wer der Böse ist. Die Realität ist jedoch eine andere.

Um meinen neuen Kriminalroman, der in Münster angesiedelt ist und unter dem Projektnamen „Kreuzbube“ läuft, fertig zu stellen, war ich für ein paar Tage an den Bodensee gereist. Ich mag Martin Walser nicht sonderlich, aber seiner Einschätzung des Sees als Quelle des Lichts, der Inspiration, würde ich durchaus zustimmen. Ich habe es schon immer als schwierig empfunden, die letzten 50 bis 100 Seiten eines Romans zu schreiben. Man muss viele Fäden zusammenfügen, lose Enden verknoten und darf dabei das einmal gewählte Ziel nicht aus dem Auge verlieren.

© 2019 Thomas Michael Glaw

In meiner Erfahrung sind es häufig die Figuren selber, die auf den letzten paar Dutzend Seiten die Regie übernehmen. Der versöhnliche Alte erweist sich auf einmal als stur, die schwache Ehefrau als stark, die entscheidend zur Lösung eines Problems beiträgt. Ich weiß nicht ob Sie das verstehen, aber ich komme mir als Autor oft so vor, als würde ich meinen Figuren nur die Hand leihen. In meinem Fall im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich schreibe jeden Erstentwurf von Hand in Kladden von Clairefontaine. Ich mag dieses Papier – nicht nur als Fotograf, sondern auch als Schreiberling. Was hat das mit den Bodensee zu tun? Das Wetter hat mich nicht nur zeitweise an den Schreibtisch gefesselt, sondern auch einige wunderbare Naturstudien in schwarz – weiß ermöglicht.

© 2019 Thomas Michael Glaw

Nein, also eigentlich nicht in schwarz und weiß, sondern in Graustufen. So wie das Leben. So wie jeder gute Roman, jeder gute Krimi. Ich freue mich auf die kommenden Wochen und auf die Arbeit mit meiner Lektorin, in der um ganz viele Worte gerungen werden wird. Man sagt George Simenon habe seine Manuskripte immer geschüttelt um zu sehen, ob nicht noch das eine oder andere Adjektiv herausfalle. Wenn es nicht wahr ist, so ist es zumindest gut erfunden. Da hat man es als Fotograf einfachen: Man muss nur auf das Licht achten 🙂

Wien, mal wieder

Wenn ich diesen Blogbeitrag auf Englisch geschrieben hätte, hätte ich ihn vermutlich Vienna the Umpteenth betitelt Ich weiß wirklich nicht mehr, wie oft ich schon in dieser Stadt war. Es sind nicht nur die Philharmoniker, die Oper, der Kaffee, der Wein, die Grantler …

Eigentlich bin ich zum arbeiten in Wien. Wir haben Anfang des Jahres bei mediathoughts eine Reihe von Jugendreiseführern mit unserem Romführer VIVA ROMA bemerkenswert erfolgreich begonnen, die wir jetzt mit einem Buch über Wien fortsetzen werden. Zugegeben, ich hatte ein Wörtchen mitzureden, aber die Zahl an Schulklassen und Jugendgruppen die jedes Jahr die oesterreichische Hauptstadt besuchen ist hoch und Wien ist einfach eine faszinierende Melange von Menschen, Kulturen, Religionen und Geschichte.

© 2018 Thomas Michael Glaw – Gasometer Wien

Ich bin also mal wieder in Wien. Neben den zahlreichen Bildern für den Führer war das Wetter heute auch so typischer wienerisch zwischen Dunst und tiefstehender Sonne angesiedelt, dass ich natürlich ein wenig vom Pfad der Tugend (oder was meine Verlegerin dafür hält) abgewichen bin, um Architektur auf schwarz weiß zu fotografieren.

Wagemutig sind sie nämlich schon die Wiener. Auch wenn sie richtig mit Herzblut über die Umgestaltung ihrer Stadt streiten. Ich verfolge die Streitereien seit langen und mit großem Vergnügen aus der Distanz meiner Wahlheimat München im Falter (wenn Sie mehr wissen wollen gehen Sie mal auf Falter.at).

© 2018 Thomas Michael Glaw – Gasometer Wien

Es gibt faszinierende Aus- und Durchblicke in dieser Stadt. Nicht nur bei den Durchhäusern und Pawlatschen, über die ich hier schon einmal geschrieben habe, sondern auch bei der modernen Architektur – und bei den Überbleibseln. Beispielsweise bei den Flaktürmen aus der deutschen Besatzungszeit, die, von Zwangsarbeitern 1941 erreichtet, hier im dritten Bezirk, wo ich üblicherweise wohne, einfach so neben Kinderspielplätzen ihre martialischen Betonwände in den Himmel recken.

© 2018 Thomas Michael Glaw – Wien Flaktürme im 3. Bezirk

Richtig daneben gegriffen haben die Wiener nur bei der Donau City, von der die UNO City ein Teil darstellt. Abgesehen von einer kleinen, aber interessanten, katholischen Kirche, in der die Messe überwiegend auf englisch gelesen wird, konkurrieren Hochhäuser miteinander, die ohne jegliches Gespür für Dimension, Licht und Wirkung nebeneinander gepflanzt wurden. Nicht nur kann man sie quasi nicht fotografieren, man kann sie eigentlich auch nicht ansehen. Also ich nicht. Ich bekommen von so etwas Magengrimmen.

© 2018 Thomas Michael Glaw – Wien Donau City

Die UNO City ist übrigens nicht zugänglich. Außer mit Sonderausweis oder in meinem Fall mit Akkreditierung und dann auch nur zu besonderen Zeiten und so weiter und so fort. Die Welt bezahlt für die Clowns in ihren teuren Limousinen. Das mindeste wäre, dass sie der Welt erzählen, was sie da eigentlich treiben. Transparenz hilft. Eine bessere Architektur auch. Aber das ist ein anderes Thema.

Über irgendetwas muss man ja granteln hier.

Beim Grünen Veltliner.

 

Simple Food

Fein gehackt und grob gewürfelt. Doch wirklich. Das ist der Titel eines Buches, das im Original The pedant in der Kitchen heißt und von Julian Barnes ist. Ich schätze Julian Barnes sehr. Metroland begleitet mich seit  gefühlt über dreißig Jahren, ähnlich geht es mir mit Flaubert’s Parrot oder The Sound of an Ending. Nein, die Zeit stimmt natürlich nicht. Barnes hat diese Romane deutlich später geschrieben. Trotz sind es Bücher, die man immer wieder aus den mittlerweile, aus Mangel an Platz,  recht schlecht organisierten Bücherregalen zieht, um erneut einen Blick in sie zu werfen. Julian Barnes trifft eine Sprache, die mir entspricht, die schwierig ins Deutsche zu übertragen ist, die subtil witzig ist, aus der man sich nur schwer wieder lösen kann.

© Thomas Michael Glaw

Diese Woche stolperte ich in einem Antiquariat über die deutsche Übersetzung von The Pedant in the Kitchen. Julian Barnes ist ein – in seinen eigenen Worten – spät berufener Koch. Er ist außerdem ein Koch, der dazu neigt Anweisungen in Kochbücher geradezu sklavisch zu befolgen. Meiner Meinung nach ist das ein Rezept für garantiertes Desaster. Rezepte in Kochbüchern stellen – bestenfalls – eine Idee da. Eine Anregung. Eine von vielen Möglichkeiten mit guten Zutaten etwas noch Besseres zu gestalten. Für Julian Barnes sind sie quasi die in Stein gemeißelte Wahrheit.

Ich erwarb das Buch vor allem, um zu sehen, wie die Übersetzerin mit seiner Sprache umgeht. Julian Barnes ist sicher eine Herausforderung und auch diese Übersetzerin ist an ihm gescheitert. Das Buch wirkt, im Vergleich mit dem englischen Original, hölzern.

© Thomas Michael Glaw

Aber ich wollte ja eigentlich auf das Kochen heraus. Wir hatten am Freitag Michael zu Gast, mit dem es galt sein Cambridge C1 Diplom zu feiern und der zudem ein interessanter Gesprächspartner ist. Es war ein Abendessen mit Freund, wie sich Julian Barnes ausdrücken würde. Ich komponierte eine leichte Vorspeise aus Crevetten, Avocado, dem wunderbaren Saft von Orangen aus Amalfi (sorry guys, WIR haben die letzte Kiste bei Ortofrutta gekauft), einem leichten Steakpie (doch, das geht) und einer Nachspeise auf der Basis von gebackenem Ricotta und karamelisierten Pfirsichen. Die Rezepte gibt es bei Gelegenheit auf steaktogether .

Ein paar Flaschen Chateau Brejoux später kam der Freitag, wir waren eigentlich immer noch satt und trotzdem … eine Kleinigkeit wäre jetzt nicht schlecht. Ich inspiziere in solchen Fällen immer gerne – im Gegensatz zu Julian Barnes – Kühlschrank und Speisekammer. Hm … Crevetten, Fenchel, Frühlingszwiebeln … eine halbe Kiste Papardelle von DeCecco. Was könnte man damit machen?

© Thomas Michael Glaw

Nun man könnte Fenchel und Frühlingszwiebeln streifig schneiden und in einer Pfanne in Butter andünsten bis die Zwiebel leicht golden wird (Maillard Reaktion, für die Chemiker unter uns) dann fügt man pro Person fünf bis sechs Crevetten hinzu. In der Zwischenzeit hat man die Papardelle (Tagliatelle gehen auch) al dente gegart. Dann löscht man den Gemüse/Crevetten Mix mit dem Saft einer jener großartigen Orangen ab (Ich weiß, sie sehen gräßlich aus, aber Duft und Geschmack …) und gibt einen Schuss Noilly Prat zu. Klar, das kling jetzt ziemlich versnobt, aber glauben Sie mir, mit Cinzano oder wie das Zeug heißt ruinieren Sie dieses Gericht. Anschließend müssen Sie nur noch die Pasta mit dem Inhalt der Pfanne vermischen, reichlich frischen, schwarzen Pfeffer hinzufügen und: voila.

© Thomas Michael Glaw

Noch eine Bitte zum Schluss: keinen Parmigiano.

Bitte

BITTE.

De Lijn

Man spricht das „de lein“ aus, aber es hat mit einer Leine wenig bis gar nichts zu tun. De Lijn heißt auf Niederländisch „die Linie“; in unserem aktuellen Kontext handelt es sich um den Verkehrsverbund in West Flandern. Wie ich darauf komme? Wenn ich mich wirklich langweile, es an Bord kein Handelsblatt gibt, kein Artikel dringend geschrieben werden muss, greife ich zum Lufthansa Magazin. Das soll jetzt nicht abwertend gemeint sein. Die (vermutlich jungen) Damen und Herren, die dieses Magazin publizieren, geben sich redlich Mühe, trotz der Vorgaben ihrer Meister (der Marketing Abteilung der Lufthansa), ein lesbares Magazin zu produzieren. Einmal im Monat lese ich es auch. Man kann von dem Format durchaus etwas lernen für die gegenwärtige Unternehmenskommunikation, die ja auch zu meinen Geschäftsbereichen zählt. Aber ich schweife ab.

Vor einigen Monaten las ich in eben jenem Magazin einen Beitrag über die flämische Küstentram. Es war ein überaus interessanter, gut geschriebener Beitrag. Heute bin ich überzeugt davon, dass es ein „plant“ war. Ein Beitrag, der gegen Bezahlung oder sonstige Vorteile ins Magazin gehievt  wurde. Schön blöd, auf so etwas hereinzufallen, mögen Sie sagen. Nun ja, shit happens, oder politisch korrekter formuliert:  die Geschichte war wirklich gut geschrieben.

Wir machten uns also auf gen Brügge (siehe mein letzter Beitrag), erwarben ein fünf Tage Ticket für „de Lijn“, was zugegebenermaßen günstig ist, downloadeten (ist Deutsch nicht eine wunderbare Sprache) die App (ohne App geht heute gar nichts mehr), und begannen zu planen.

De Lijn – © Thomas Michael Glaw 2018

Das erste, was wir bemerkten, ist, dass die famose App allerlei Alternativen enthält, die in jenem Ticket von „De Lijn“ nicht enthalten sind. So kann man von Brügge nach Ostende zwar durchaus mit dem Bus fahren (De Lijn umfasst nur Busse und die Küstentram – das sagt einem aber niemand). Man braucht dann aber zweieinhalb Stunden. Alternativ kann man auch 4,30 Euro bezahlen und ist in 12 Minuten da. Mit der belgischen Bahn. Genau die Alternative, die einem auch die App von „De Lijn“ vorschlägt.

Am ersten Tag waren wir wagemutig. Wir nahmen den Bus nach Blankeberge. Das Erlebnis war es wert, denn es brachte uns der belgischen Gesellschaft heute ein gutes Stück näher. Mit an Bord dieses Busses waren rund ein Dutzend Schwarzafrikaner, die sich über ihre Belange während der ganzen, etwa 25 Minuten dauernden Fahrt, unterhielten. Man konnte, ob der Lautstärke, nicht weghören. Die Frauen benutzten eine Sprache, mit der ich nicht vertraut war, die Männer sprachen in einer Mischung aus Französisch, Englisch und einer mir nicht bekannten Sprache.  Es war nicht uninteressant, ihnen zuzuhören. Interessanter jedenfalls als den Kindern, die sich einfach ein einer nicht näher zu definierenden Sprache anschrien, Doch wirklich. Anschrien.

Kusttram – © Thomas Michel Glaw 2018

Wir stiegen dann alle gemeinsam in Blankenberge aus. Unsere schwarzafrikanischen Freunde gingen ihres Weges und wir nahmen die nächste Küstentram. Das Bild, das die Lufthansa gezeichnet hatte, verflüchtigte sich schnell. Freiheit. Gute Sicht auf die Küste. Interessante Menschen.

Die Küstentram (Kusttram sprich Linie 0) ist vor allem ein Nahverkehrsmittel für Menschen, die ihren Urlaub an der belgischen Kanalküste verbringen. Wer glaubt, er könne die belgische Küste betrachten, sollte sich besser ganz hinten hinsetzen, denn die meisten Waggons sind mit dieser modernen Werbung beklebt (siehe Rom), die nur eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung der Umgebung ermöglichen.

Kusttram – © Thomas Michael Glaw

Außerdem ist die Kusttram voll. Jede einzelne. Egal, von wo sie nach wohin auch immer fahren wollen. Sie ist ein Nahverkehrsmittel, aber bestimmt nicht ein Weg, die belgische Küste zu erfahren. Was es da so zu erfahren gibt, berichte ich in einem anderen Beitrag.

Bitte, fahren Sie nicht wegen der Kusttram nach Flandern. Es mag andere Gründe geben. Die Tram ist keiner. Die App von „de Lijn“ ist eher ein abschreckendes Beispiel, wie man Nahverkehr eher nicht organisieren sollte.

Wanderer kommst du nach Brügge

Nein, es hat keine Schlacht gegeben. Und doch gibt es etwas zu verkünden, davon aber später. Ich wollte schon seit langem einmal die flämische Kusttram, die Küstentrambahn, ausprobieren und auch den „Flanders Fields“ ein wenig nachspüren.

Aber fangen wir am Anfang an. Wir waren zum nachgefeierten fünfundachtzigsten Geburtstag meiner Mutter in Köln und wollten uns von dort aus mit der Bahn nach eben jenem Brügge aufmachen. Wir wollten die Bahn nehmen, denn die Verbindung über Brüssel ist günstig, auch in preislicher Hinsicht, und uns in Flandern mit „de Lijn“, dem dortigen Nahverkehrsverbund, bewegen. Dazu später mehr.

Zunächst einmal erwartete uns am Kölner Hauptbahnhof das übliche DB Chaos. Verspätete Züge, ausgefallene Züge, ausgefallene Entschuldigungen für ausgefallene Züge und Hinweistafeln, die so schnell rotierten, dass man mit dem Lesen nicht mehr nach kam. Züge verschwanden, tauchten wieder auf, verschwanden wieder, wurden geteilt, und aus zehn Minuten Verspätung wurden erst zwanzig, dann vierzig.

Endlich kam der ersehnte ICE, glücklicherweise hatte er auch noch die Originalnummer, so dass unsere Platzkarten noch gültig waren und wir uns nicht um einen Stehplatz im Gang prügeln mussten. Nachdem wir den englischen Enkel einer Hamburger Großmutter zwischen uns platziert hatten, so dass Oma nicht mehr auf dem Koffer sitzen musste, rumpelten wir los Richtung Aachen.

Belgischer Intercity – Erste Klasse

Das interessante an solchen Zugfahrten sind meist die Gespräche, die sich ergeben. Nachdem wir die jeweiligen Verspätungen bis zu diesem Zeitpunkt durchgehechelt hatten (3 Stunden aus Kiel, 2 aus Hamburg) versuchten wir zu ermitteln, ob Großmutter und Enkel noch ihren Eurostar nach London in Brüssel erreichen würden. Die Chancen glichen einer Achterbahnfahrt, da die Verspätungsangaben im Online Portal der Deutschen Bahn ungefähr so schnell wechselten wie die Lottozahlen. Bald war jedoch klar: das wird nichts mit dem Eurostar. Es würde eine nicht geplante Übernachtung in Brüssel werden. Als der Zug sich in Aachen ein wenig leerte, zogen die beiden ins Nachbarabteil um, wo jetzt auch der junge Mann einen komfortablen Sitz hatte. In unserem Abteil wandten sich die Gespräche der Welt der Oper zu, vor allem der mangelnden musikalischen Qualität der Semperoper. Salzburg bekam aber auch sein Fett ab. Geht doch nichts über ein wenig lästern im Erste-Klasse-Abteil.

Dann fingen auch wir an zu rechnen und es begann erneut das Lotteriespiel mit den Verspätungsangaben. Besonders lustig war es in den letzten vierzig Minuten der Reise. Überschreitet man die geplante Ankunftszeit am Endbahnhof, ist für die Bahn der verspätete Zug nämlich angekommen und man bekommt keine Angaben mehr. Am Ende haben wir dann tatsächlich noch den IC nach Brügge erwischt. Trotz sieben Minuten Umstiegszeit und obwohl wir erst auf Gleis 6 erfahren haben, dass es heute von Gleis 16 losgeht. Nein, und ich war nicht einmal außer Atem.

Dieser belgische Intercity erinnerte mich stark an die Regionalzüge im China der achtziger Jahre, mit denen ich von Beijing nach Chengde gefahren bin. Es saßen zwar nicht vier Leute in der zweiten Klasse nebeneinander, sondern nur drei, aber ich war auch schon lange nicht mehr durch halb im freien liegende Verbindungen zwischen Waggons gegangen. Ein wahrhaft nostalgisches Erlebnis. Als wir die erste Klasse gefunden hatten, war auch sie gut besetzt. Es gab allerdings noch eine Vierergruppe, in der nur eine Dame saß, die ihren Koffer so drapiert hatte, dass von Anfang an klar war: meins! Normalerweise lasse ich mich von so etwas nicht abschrecken, aber die Dame hatte auch einen Blick, der mich sehr stark an eine Französischlehrerin erinnerte und nichts Gutes verhieß. Sie war in der Tat Französin. Ich lächelte also freundlich, wuchtete unser beider Koffer in die Kofferablage und setzte mich der Dame gegenüber. Sie schaute kurz von ihrem Buch auf, blickte mich an, wie man vielleicht eine Spinne auf dem frisch polierten Parkett anblickt, und fragte mich auf Französisch (Ha!), ob sie ihren Koffer wegnehmen solle. Ich antwortete in meinem besten Französisch, das sei schon in Ordnung. Was mir noch einen kritischen Blick einbrachte. Wahrscheinlich war sie wirklich Französischlehrerin, und mit meinem subjonctiv stimmte etwas nicht. Die Pointe kommt, wie immer, zum Schluss: als der Schaffner kam, fragte sie ihn etwas auf Französisch; bei den Flamen kommt das nicht so gut an. Bei einer genaueren Inspektion ihrer Fahrkarte stellte sich zudem heraus, dass sie nur über ein Billet zweiter Klasse verfügte. So kommt man, unverdienter Maßen mögen Sie sagen, zu zwei Fensterplätzen.

Und was hat das jetzt alles mit dem Wanderer zu tun, der nach Brügge kommt. Da geht es Ihnen so wie mir, wenn ich als Kind jeden Abend meinen Vater anbettelte: Nein Papa, die Geschichte ist noch nicht zu Ende! Weitererzählen!

Wir verließen also in Brügge unseren Vorortzug, der unter dem Deckmantel eines Intercitys unterwegs war, und es begann zu regnen. Meine unfehlbare Doro hatte den Weg zu unserem Huisje, sprich unsrer Heimstatt für die nächsten Tage, mit 1,7 km oder 23 Minuten ausgemacht. Im Zug hatte es kein Bier gegeben. Ich hatte die Faxen dicke. Es begann heftiger zu regnen.

Brügge – © Thomas Michael Glaw

Der Taxifahrer hatte sein Handwerk offensichtlich in Les Mans gelernt und fuhr uns in unter sieben Minuten in die Gapaardstraat. Natürlich war es jetzt nicht kurz vor acht, wie geplant, sondern eher kurz vor zehn. Und es schüttete. Meine Wenigkeit hatte nur eine dünne Regenjacke eingepackt, die ich üblicherweise zum Laufen anziehe und die nicht mehr so besonders dicht hält. Aber ein Bier, oder auch zwei, und etwas zu essen hätte jetzt schon etwas.

Also keine Müdigkeit gescheut. Der erste Eindruck von Brügge war: hier werden um zehn Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Auf alle Fälle an einem Donnerstag wenn es regnet. Menschen hetzten nach Hause, Kneipen wurden geschlossen, Kellner standen an Theken und schüttelten auf einen fragenden Blick nur mit dem Kopf. Mein Gesicht wurde immer länger und mein Hemd unter der angeblichen Regenjacke immer nasser. Unter dem leeren aber immerhin überdachten Fischmarkt legten wir eine Pause ein. Ein Blick aufs Handy bestätigte, dass die einzige Kneipe weit und breit, die noch offen zu haben schien, Delaney’s Irish Pub war. Also zurück in den Regen. Und, oh Wunder, der Laden hatte noch offen, war proppe voll (klar, alle anderen hatten ja schon zu) und servierte uns ein Brugse Zot (also einen Brügger Narren) in unter fünf Minuten. Ein wenig später schoben sie dann einen eher geschmacklosen Shepherd’s Pie nach, aber er war warm und wir hatten Hunger. Und das Bier war wirklich nicht schlecht.

Außerdem nieselte es auf dem Heimweg nur noch.

Wanderer kommst du nach Brügge, so vergiss also nicht, dass du nach zehn Uhr zum Irish Pub musst.

Last Words 2017

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag „Grau“ nennen – aber dann hätte ihn niemand gelesen. Mein Herz gehört immer noch der schwarz-weiß Fotografie.  Vor allem den Grauwerten in ihr, was mich zum eigentlichen Thema dieses Jahresabschluss Blogs bringt.

Grauwerte.

Mir scheint, heutzutage muss alles in schwarz-weiß präsentiert werden. Wer für Flüchtlinge ist, sagt das gerade heraus, wer auch nur den leisesten Zweifel daran hegt, wie das im Moment läuft, ist ein Nazi. Nachdenken heißt noch lange nicht, dass man die Pappnasen von der AfD wählt. Die CDU möchte am liebsten alles begrenzen, anstelle einfach genau hinzuschauen und die aufzunehmen, die wirklich unserer Hilfe bedürfen. Helfen ist Christenpflicht. Judenpflicht, Moslempflicht. Das Hilfsgebot dem Schwachen gegenüber existiert in allen großen Religionen. Wir sollten uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern einander helfen. Oder mal wieder Lessing lesen. Ringparabel. Klingelt das etwas?

Was das mit diesen Bildern zu tun hat?
Ich habe aus etwa 3000 schwarz-weiß Bildern die ausgewählt, die mich immer noch berühren. Und zwar, weil sie so viele Grauwerte haben. Schatten. Verstecktes. Nachdenkenswertes.

So wie unser Leben.

© 2017 Thomas Michael Glaw

Was denken Sie, wo dieses Geschäft ist?
In Wien?
In München?
Bestimmt nicht in Zürich …

Es ist in Rom.
Niemand, dem ich dieses Bild bisher zeigt, ist darauf gekommen. Doppelgänger ist einfach zu Deutsch. Ist es nicht so mit vielen Menschen und Situationen, die uns tagtäglich begegnen? Schwupp haben wir eine Klassifikation. Ob sie stimmt, ist eine andere Frage. Ob sie weiter führt, ein ganz andere.

Ich mag dieses Bild. Die Menschen in ihm. Die Geschwindigkeit. Auch die Langsamkeit.

 

Wer mein Blog regelmäßig liest, wird sich vermutlich auch an dieses Bild erinnern.

© 2017 Thomas Michael Glaw

Prag. Jüdischer Friedhof.

Es ist annähernd ein Jahr her, dass ich dort fotografiert habe. Die Teilnahmslosigkeit der Massen, die sich über diesen Friedhof schoben, spüre ich noch immer. Den mangelnden Respekt. Alle Welt spricht heute darüber, wem und wem nicht, wann und wann nicht Respekt zu erweisen ist.

Aber keiner handelt danach.

Warum geht man über einen jüdischen Friedhof, wenn einen das kein bisschen bewegt?
Warum schiebt man sich durch eine Synagoge, an deren Wänden Tote, Tote und nochmals Tote aufgelistet sind? Liebe deutsche Freunde: wir kommen aus dieser Kiste nicht heraus. Es waren Deutsche, die dem Morden eine industrielle Komponente verliehen haben. Dagegen sind die Kreuze an der Via Appia, die Amis und ihr Agent Orange mit dem folgenden Bombardements, die dreißig Jahre früher auch deutsche Städte erdulden mussten, nichts. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Deswegen kann man trotzdem die Politik des Staates Israel und auch den Unfug, den Donald Trump so verzapft, kritisieren. Man sollte sich nur des anderen immer bewusst bleiben. Vielleicht sollten allerdings auch so manche mit dem gerne bemühten Begriff Antisemitismus ein wenig vorsichtiger umgehen.

 

© 2017 Thomas Michael Glaw

Für mich ist auch dieser Reichstag hin Gittern ein wenig sinnbildlich für das Jahr 2017. Die Politik und ihre Akteure haben sich ein Stück weiter von denen entfernt, die sie vertreten: von uns. Ich schreibe bewusst nicht vom Volk, denn dieser ehedem ehrwürdige Begriff – erinnert sich noch jemand an populus romanus? – ist entwertet worden, als säße man als Teil des Volkes in der Gosse, und die Volksvertreter säßen auf halbem Weg zum Olymp. Die Griechen dachten das auch schon einmal – das Erwachen war sicher hart.

In verantwortungsvollen Positionen braucht es Erfahrung, schallt mir jetzt sicher entgegen. Meine Partnerin Dorothea Lubahn befasst sich seit langen mit einer Methode, die effectuation genannt wird (be³ consulting). Es ist ein Weg, wie junge Unternehmen -start ups- , aber auch jede andere Gruppe, die neue Wege beschreiten will, experimentell solche neuen Wege entdecken kann. Wir sollten keine Angst vor neuen Wegen haben, wir sollten sie ausprobieren. Alternativlos hat ausgedient.

Noch ein letztes:

© Thomas Michael Glaw

Ich weiß, wir hatten das schon mal.
My apologies to the regulars.

Für mich persönlich bleibt es mein Bild des Jahres.
Für mich steckt da alles drin.

Liebe.
Vertrauen.
Wärme.
Rückhalt.
Alles geben.
Die Welt verändern.

Euch allen ein gesegnetes Jahr 2017.
Ich weiß, Erfolg ist keiner der Namen Gottes, sagt Martin Buber.

Trotzdem: Let’s go for it.

Rowohlt-Gernhardt-Ente

Ihnen kommt der Titel merkwürdig vor? Da haben Sie völlig recht. Aber was soll man sonst an einem grauen Dezembertag schreiben? Als ich heute morgen aufstand, zugegebenermaßen um halb zehn, aber ich habe Urlaub, wirbelten draußen kleine, fiese Schneeflocken. Die Art von Flocken, die sich immer zwischen Hals und Kragen niederlassen und dann als einsamer Wassertropfen zwischen Stoff und Hals versinken.

Harry Rowohlt zu lesen ist ein ausgezeichneter Beginn für einen solchen Tag. Nicht weggeschmissene Briefe Band I. Selten etwas besseres zu Weihnachten bekommen.  Harry würde mir da, auf Wolke siebzehn, wo er derzeit sicher sitzt, zweifelsohne zustimmen. Der Kampf geht weiter, nicht war Harry? Er tut es wirklich, nur momentan sind die Protagonisten von „Martin“ bis „Siggi“ eher ins kabarettistische Genre abgeglitten. Sei’s drum.

Über Harry landete ich irgendwann bei Robert Gerhardt. Harry echauffierte sich furchtbar über eine ziemlich dumme Kritik von Fritz Raddatz in der ZEIT aus Anlass von Robert Gerhards 65. Geburtstag, Darf ich zitieren? „Raddatz, daß Sie ein dummes, unberatenes, abgebrochenes Ostzonen-Arschloch sind, das nie irgendwo ankommen wird, das ist ein alter Hut mit alter Krempe …“

Robert Gernhardts Gedichte polarisieren noch immer. Vielen sind sie zu humoristisch. Nicht ernst genug. Auch die Tatsache, dass Gernhardt relativ lange festen Reimformen verhaftet blieb, machte ihn in Deutschland eher verdächtig. Oder lächerlich. Weil nicht modern genug. Nein, ich möchte hier keinen Rundumschlag beginnen. Dazu bin ich, weiß Gott, nicht vertraut genug mit der Materie. Aber ein Nachdenken wäre es schon wert, oder?

Robert Gernhardt schrieb in einer seiner Poetik Vorlesungen, dass Lyrik bisweilen auch direkt zum Herzen sprechen könne. Er verglich das Gedicht mit der Vorführung eines Jongleurs, bei dem man sich auch keine Gedanken mache, warum die Bälle gleichzeitig in der Luft wären, sondern einfach das Schauspiel genieße. Vielleicht war es die Tatsache, dass ich gerade eine Serie von schwarz-weiß Bildern aus dem Jahr 2017 zusammenstelle, die in mir die Erinnerung an ein Brecht Gedicht wach rief. Erinnern Sie sich an „Die Liebenden“ ?

© Thomas Michael Glaw

Dieses Bild ist in mancherlei Hinsicht eines meines Lieblingsbilder aus diesem Jahr. Die beiden waren so versunken in einander. Ich komme mir als Fotograf nicht so oft als „peeping tom“ vor, hier war es fast der Fall. Ihre Intimität hatte etwas Unschuldiges, etwas Wunderbares, etwas, in das man nicht eindringen sollte. War es Neugierde, die mich dennoch bewog, ein Bild zu machen? Ich würde das bestreiten. Der Moment war einfach zu schön, um nicht festgehalten zu werden. Zumal in den Zeiten, in denen wir leben.

Aber wir waren bei Brechts „Liebenden“ stehen geblieben. Nachdem ich in einem anderem Leben die wunderbare Berlin/Frankfurter Ausgabe von Brechts Werken zurücklassen musste – nicht, dass sie dort je einer liest – bin ich in meinem neuen Domizil auf Suhrkamps „Ausgewählte Werke in sechs Bänden“ angewiesen. Heute morgen bemerkte ich wieder einmal die Lückenhaftigkeit dieses Machwerks. „Die Liebenden“ hatten sie schlicht vergessen. Vielleicht war es ihnen auch nicht wichtig genug. Darf ich es hier trotzdem noch einmal zitieren?

Seht jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon als sie entflogen
Aus einem Leben in ein anderes Leben.
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Daß also keines länger hier verweile
Und keines anderes sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen:
So mag der Wind sie in das Nichts entführen.
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
So lange kann sie beide nichts berühren
So lange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin ihr? – Nirgend hin. Von wem davon? – Von allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?
Seit kurzem. – Und wann werden sie sich trennen? – Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.

Passt doch zu dem Bild, oder?

Ich glaube Gernhardt hat recht. Es gibt Gedichte, da vergisst man die Form, um sich ganz dem Inhalt hinzugeben.

Irgendwann kam dann dann der Ruf nach einem verspäteten Mittagessen.
Ich hatte noch eine Entenbrust im Kühlschrank.

Was ich daraus fabriziert habe, sehen Sie hier:

Entenbrust, Rotkrautsalat, Honigschalotten – © Thomas Michael Glaw

 

Das Rezept dazu finden Sie, wie immer, auf http://www.steaktogether.com/what-we-cook/

 

 

 

 

 

 

Food

Ich weiß, mein letzter Blog war ein wenig depressiv. Das könnte ohne weiteres so weiter gehen. Jeden morgen, wenn ich die FAZ digital öffne (deren neue Werbeeinblendungen mir im übrigen gewaltig auf den Keks gehen) könnte man einen depressiven Blog nach dem nächsten schreiben. Erinnert sich noch jemand an Tschechows Gesetz (schreibt man den auf Deutsch überhaupt so)? Tschechow schrieb dereinst wenn eine Pistole im ersten Akt auftaucht, dann geht sie spätestens im dritten los. Bleibt die Frage, wann der dritte Akt von Trumps Präsidentschaft beginnt. Andererseits: Rom hat auch Nero überlebt. Asche hat auch etwas …

Aber ich wollte ja eigentlich über etwas völlig anders schreiben.
Food Photography.
So nennen das zumindest meine voll professionellen Kollegen, die sich damit beschäftigen Essen in Szene zu setzten.

Peperoncini – © 2017 Thomas Michael Glaw

Die Idee darüber zu plaudern kam mir, als ich eben jene Peperoncini heute Mittag auf meinem Balkon erntete. Mich befiel ein wenig die Melancholie aus Rilkes Herbsttag. Sie erinnern sich?

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen lesen lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Es ist ein großes Glück in dieser Jahreszeit nicht allein zu sein.

Aber zurück zu unserem Thema Essen. Mir hat Kochen schon immer Vergnügen bereitet. Ich habe es von meiner Großmutter gelernt (meine Mutter hat viele Talente, kochen gehört nicht dazu) und später immer wieder hospitiert. Ich koche wirklich gerne. Mich inspiriert es Neues zu schaffen und nachdem ich nicht begabt und/oder diszipliniert genug bin, es auf dem Feld der Kunst oder der Musik zu schaffen habe ich mir die Küche vorgenommen.

Auberginen – © 2017 Thomas Michael Glaw

Wenn ich das Lächeln auf den Gesichtern meiner Gäste sehe, macht es mich wirklich glücklich. Warum ich es bisher nicht fotografiert habe? Ich fand professionelle Food Photography in Magazinen immer sterbenslangweilig. Egal ob in Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Man versuchte stets irgendwelche arrivierten Köche (in letzter Zeit auch Köchinnen, obwohl für mich die einzig ernst zu nehmende Lea Linster bleibt) in Szene zu setzten. Das hat durchaus seine Berechtigung in der Werbefotografie. Die Ergebnisse auf dem Gebiet der Speisen fand ich jedoch überwiegend öde. Die Aufgabe für ein StartUp Essen künstlerisch in Szene zu setzten erwies sich jedoch als überaus spannend.

Artischoken – © 2017 Thomas Michael Glaw

Die Möglichkeiten mit Licht und Schatten, mit unterschiedlichen Tiefenschärfen zu spielen finde ich fast so spannend wie das Kochen. Obwohl es zugegebenermaßen bisweilen ein wenig in Stress ausartet. Warum? Haben Sie schon mal ein drei- oder fünfgängiges Menü für sechs Personen gekocht, versucht erstklassige Produkte kreativ auf den Tisch des Hauses zu bringen und diese nebenbei auch noch interessant und ansprechend zu fotografieren? Nein? Versuchen Sie es einmal. Spannend ist es auf alle Fälle.

Aber das stimmt so nicht. Es ist mehr als spannend. Beides inspiriert einander, auch wenn man sich das als Außenstehender nur schwer vorstellen kann. Kochen hat auch viel mit der Kunst der Präsentation zu tun, jeder Restaurateur wird ihnen das bestätigen. Das Auge isst mit und ich genieße  das „wow“ meiner Gäste wenn das Gericht aufgetragen wird mindestens ebenso wie das „wow“ nach den ersten Bissen.

Conciglie – © Thomas Michael Glaw

Was wir da so genau machen können sie auf dieser Website verfolgen. Vielleicht bekommen Sie ja Appetit und folgen der Inspiration.

Bon appétit.