Isaac Bashevis Singer.
Ich weiß nicht, wem unter Ihnen der Namen etwas sagt, ich bin Anfang der achtziger Jahre über Singers großen Roman „Die Familie Moschkat“ auf der Münchner Auerdult gestolpert. Es war eine Mark, die gut investiert war, denn aus diesem Roman habe ich mehr über das Ostjudentum und seinen Untergang erfahren als aus all den bemühten Geschichtsstunden in einem deutschen Gymnasium.
Vor etwa zwei Monaten fiel mir „Eine Kindheit in Warschau“ von selben Autor in die Hände und damit erwachte der Wunsch nach langer Zeit wieder einmal nach Warschau zurückzukehren und mich auf die wenigen verbliebenen Spuren des Judentums in der polnischen Hauptstadt zu begeben. Ich wollte gerne sehen ob noch der eine oder andere Stein aus den Straßen, in denen vor dem ersten Weltkrieg die aus den Schteteln nach Warschau strebenden Ostjuden Quartier machten vorhanden war.
Ich war mir durchaus bewusst, dass es wahrscheinlich ein sinnloses Unterfangen werden würde und doch wollte ich einfach da gewesen sein. Wir haben uns in Warschau, wie in den meisten Städten, wenn wir reisen, mit Bus und Tram bewegt. Zum einen sieht man mehr, zum anderen sind diese Verkehrsmittel bei weitem nicht so steril wie die U Bahn. Trotzdem ist es schwer in Warschau mit irgendjemand ins Gespräch zu kommen. Sicher gibt es eine Sprachbarriere, aber viele junge Polen sprechen genügend Englisch um eine Konversation zu führen. Trotzdem kommt, anders als in Rom oder Madrid einfach kein Gespräch in Gang.
Isaak Singers Vater war Rabbiner in der Krochmalna, einer Straße, die es auch heute noch gibt. Natürlich weiß ich, dass die deutsche Wehrmacht das Ghetto dem Erdboden gleichgemacht hatte und wenig später den ganzen Westteil Warschau. Trotzdem hoffte ich Spuren zu finden. Die ältesten noch erhaltenen Bauten befanden sich in einem furchtbaren Zustand. Furchtbar? Doch. Dem Verfall nahe oder wahlweise geschmacklos in ein neues Gebäude integriert. Und doch spürte man, wenn man den Gebäuden näher kommt, ein wenig den Atem der Geschichte. Das klingt zu pathetisch? Mag sein, aber so habe ich es empfunden. Und gerochen. Feuchtigkeit. Moder.
Während man an anderen Orten auf pathetischen Protz wert legt, scheint der Erhalt der wenigen noch erhaltenen Gebäude, die ein Gefühl für die vergangene Zeit erahnen lassen, niemand zu interessieren. Wenn man vor ihnen steht wünscht man sich bestenfalls einen Schutzhelm oder wechselt die Straßenseite.
Trotzdem kann man sich die Enge, die Dunkelheit, den Pferdemist auf den Straßen vorstellen, wenn man dort in einem Hauseingang steht. Es waren eher die Presslufthämmer im nächsten Gebäude, die störten. Szenen aus dem Buch bewegten meine Fantasie, ebenso wie wie der Blick auf die Weichsel am Tag zuvor. Singer beschreibt einen Ausflug an den Fluss mit einem Freund.
Ein Besuch auf dem jüdischen Friedhof beschloss unsere Reise in die Vergangenheit. Andern als in Prag, wo der alte jüdische Friedhof ein Touristenmagnet ist, durch den stündlich hunderte Besucher geschleust werden, liegt der jüdische Friedhof in Warschau still, fast verschlafen da. Bäume hängen schräg zwischen anderen, die Gemeinde bedankt sich für die Spende von 2,50 Euro, damit man den Friedhof besuchen kann. Eine fast unendlich scheinende Zahl von Gräbern, eng beieinander, bedecken den Waldboden. Langsamer Verfall, neben von Nachgeborenen veranstalteter Prahlerei macht nachdenklich, beschwört die Vergänglichkeit. Als wir uns aus der Vergangenheit lösten, die schattigen und von Spinnweben bedeckten Gräberfelder hinter uns lassen und uns wieder dem Hauptweg nähern, geraten wir in eine von Videokamera und Fotografin begleiteten Gruppe von jungen Israelis, die auf der Suche nach, ja was, in wenigen Minuten durch den Friedhof gescheucht werden. Eine andere Gruppe ist bereits auf dem Rückweg und vor dem Friedhof stehen vier weitere Busse. Finden werden sie in diesem Tempo nichts. schon gar nicht die Vergangenheit.
Isaac Singer hätte sicher eine Geschichte daraus gemacht. Ich traue mich nicht.