Verwaschener Herbst

Manchmal kommt es mir so vor, als könne ich Farben nicht mehr richtig sehen. Alles wirkt irgendwie verwaschen. Ich schiebe es dann meist auf auf meinen Optiker oder meinen Weinlieferanten. Wenn ich mir die Weltgeschichte, so wie sie sich momentan darbietet, anschaue, scheinen mir meine heutigen Bilder des Herbstes eher schmeichelhaft.

In der Presse ist von Rechtsruck, von Nazis, von linkem Pöbel, von islamistischen Gewalttätern die Rede. Selbst die gute alte Tante FAZ beginnt in diesem Konzert schrille Töne anzustimmen. Eigentlich schade. Neben der Neuen Zürcher war sie lange Jahre eine Stimme der Vernunft, aber vielleicht hat ja das schrille neue Design der „Web Version“ dazu beigetragen. Den Designer haben sie ja kurz nach der Fertigstellung gefeuert, nein, Gott bewahre, er hat sich neuen Aufgaben zugewandt.

© 2017 Thomas Michael Glaw

Verwaschen. So scheint mir die Welt. Und ich kann verstehen, dass diese Unsicherheit Menschen Angst macht. Ich würde mich da nicht ausnehmen. Was ich mir von den Medien wünschte, wäre die Trennung von Meldung und Meinung, ein Grundgedanke fairen Journalismus, den man mir vor 45 Jahren eingebläut hat, als ich auf Bezirksligaspielen und Hasenzüchtervereinshauptversammlungen (ist Deutsch nicht eine wunderbare Sprache) erste Märker im Journalismus verdiente.

Was ich mir wünsche, wären Mitmenschen, die die unglaublichen Möglichkeiten dieses Netzes nützten, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Was ich mir auch wünschte ist, dass wir Menschen, egal welcher politischer Couleur, wieder ausreden ließen, auch auf der Frankfurter Buchmesse. Ich habe noch Professoren erlebt, die nieder geschrien wurden, weil ihre Lehrmeinung wenigen linken Damen und Herren anno 1979 nicht passte. Hat es irgendetwas besser gemacht? Nein. Und Adorno haben die Schreier sowieso nicht verstanden, dazu waren sie zu dämlich.

© 2017 Thomas Michael Glaw

Ich mache mir Sorgen um unsere politische Kultur. Sie mögen argumentieren, bei einem Glas Chateau Brejoux aus dem Jahr 2010 und den Balladen von John Coltrane ließe es sich leicht Sorgen machen. Es macht das Nachdenken, meiner Ansicht nach, zwar einfacher, die Welt aber nicht besser.

Trump.
Erdogan.
Orban.

Brexit.
Ein totalitäres Regime in China.
Armut, Mord, Hunger, Wassermangel … ich mag gar nicht alles schreiben, was mir einfällt, in Afrika.

Was das alles mit diesen Bilder zu tun hat?

© 2017 Thomas Michael Glaw

Dieses Netz, in dem auch ich mich bewege, scheint uns alle taub und blind zu machen. Es macht uns unempfindlich, für all das, was passiert, und zugleich überempfindlich für einen Haufen sinnloser Kleinigkeiten, die sich wie ein süßer Brei über unsere Wahrnehmung gießen.

Uns entgleitet die Kultur der politischen Debatte.
Uns entgleitet der Streit.
Wer uns nicht passt, wird nieder geschrien, anstatt uns mit ihm (oder ihr 🙂 ) auseinanderzusetzen.

Es bleiben Schemen.
In diesem Herbst sind die Schemen noch schön.
Bunt.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie bald unschön werden. Erst Rot dann Braun. So wie Blut, das gerinnt.

Silencio

Ich bin immer wieder gerne in Rom. Ich mag das quirlige, das schnelle Gespräch im Café gegenüber, das entspannte Umgehen miteinander, sofern man der Sprache leidlich mächtig ist. Dieses mal waren es fünf Tage in Rom. Gut, in einer Wohnung im Zentrum, sprich in Monti, und mit viel Arbeit. Wir haben fast zwei Stunden „Video Footage“, wie das auf Neudeutsch heißt, für ein Projekt im Rahmen von Mediathoughts realisiert.

Wenn man nur für zwei Tage in Rom ist, fallen einem die permanente Lautstärke und die Massen an Touristen nicht so auf – oder man ignoriert sie einfach. Dieses Mal waren wir fünf Tage lang in der ewigen Stadt und sie machten mich eher nachdenklich. Die permanente Lautstärke, der konstante Fluss überaus überflüssiger Konversation, machten es mir manchmal schwer, meine eigenen Gedanken zu hören.

Roma – © Thomas Michael Glaw

Ein Blick in den Gang des Wohnhauses gegenüber vermittelt einen Moment der Stille. Römer reden gerne. Römerinnen zumal. Ich genieße es bisweilen sogar, dem völlig sinnfreien Geplauder zu lauschen. Es ist, als bräuchten die Damen unterschiedlichsten Alters die Form der Konversation, um einander zu beweisen, dass sie noch leben. Denn über wirkliche Themen spricht da niemand.

Fatal wird es, wenn Römer und Touristen sich vermischen und man als argloser Besucher nur noch in einer Kakophonie von Lauten durch die Stadt geht. Doch ja, geht. Ich gehe gerne, nicht laufen, das tue ich auch, morgens im Park. Gehen. Langsam. Mit offenen Augen. Meine Augen sind leider immer die Augen des Fotografen, was in Rom dazu führen kann, dass man sich den Knöchel bricht, weil mal wieder einmal ein Schlagloch übersehen hat.

Roma – © Thomas Michael Glaw

Heute Mittag waren wir in einem durchaus gut beleumundeten Restaurant. Wir wollten nur einen Salat und Glas genießbaren Weißweins, vielleicht danach einen trinkbaren Café, wie man hierzulande den Espresso nennt. Wir kamen in eine dunkle Höhle, die den Charme einer Bahnhofsgaststätte verströmte, wurden mit abstruser Musik beschallt und hatten leider nach vier Stunden Arbeit am Set nicht den Mut, auf dem Absatz umzukehren.

Gott sei Dank gibt es auch noch ruhige Punkte in Rom.

Parco Aquedotti – © Thomas Michael Glaw

Gott sei Dank, gibt es auch noch Menschen, Freunde, die um die Wichtigkeit der Ruhe wissen.

Die Mehrheit scheint sich voll konzentriert diesem bisweilen durchaus nicht unnützen kleinen Bildschirmen zu widmen, aus denen doch – zumindest meiner Meinung nach – nichts großes entspringen kann.

Aber die Welt ist ja voller Überraschungen. Wir lesen darüber jeden morgen in der Presse. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin der Meinung, dass ein Haufen des Unsinns der hier, in Spanien, in der Türkei, in Polen und nicht zu vergessen, in den USA , passiert, weil die Menschen, und auch  gerade die „führenden Köpfe“, nicht mehr in der Lage sind, in Ruhe und ohne das permanente „pling“ irgendeines dämlichen mit „dem Netz“ verbundenen Gerätes nachzudenken. Nachzudenken darüber, wie sie Dinge besser machen könnten. Und nicht, wie sie den Trieb der Massen, die auf eben diesen medialen Wegen unterwegs sind, befriedigen.

Es wäre interessant zu wissen, was José Ortega y Gasset heute schreiben würde.

Kazuos Welt

Nein, ich bin nicht in Japan. Auch der diesjährige Literaturnobelpreisträger ist nicht dort, obwohl ihn die japanische Erziehung, oder vielmehr das japanische Bild des Menschen, tief geprägt haben. Er hat sich stets als Brite japanischer Abstammung gesehen, und seine Literatur reflektiert das. Es ist der britisch – skeptische Blick, der durch die analytische Präzision des Japaners geschärft wird.

Ich finde, er hat den Preis wirklich verdient. Vor allen Dingen „Nocturnes“ und „Never let me go“ haben bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es ist sein Blick auf die Menschen, auf ihre Rückbindung in die eigene Geschichte, auf ihr Sein, auf ihr Wesen und auf ihr Hoffen, das sie prägt.

Rom – © Thomas Michael Glaw

Ich bin im Moment in Rom. Eigentlich, um ein oder zwei Stunden Video Footage zu drehen, mit Hilfe derer wir Jugendliche auf einen Besuch in Rom vorbereiten wollen, uneigentlich um Freunde und Kollegen zu treffen und das für diese Jahreszeit unvermeidliche Bad in der Menge zu nehmen. Das Einzige, was sich geändert hat, sind die Sprachen, die die Touristen hier, in der ewigen Stadt, sprechen. War es in den letzten Jahren viel Russisch, so herrscht jetzt wieder das gewohnte Gemisch aus Amerikanisch, Japanisch und ein wenig Deutsch vor. Sonst hat sich nichts geändert. Der Verkehr ist chaotisch wie immer, die Straßen quellen immer noch von Müll über, und die mit viel Vorschusslorbeeren in ihr Amt gehobene Bürgermeisterin Virginia Raggi hat bislang nichts, aber auch gar nichts besser gemacht. Ihrem Vorgänger, der durchaus ernsthafte Pläne hatte, haben die eigenen Parteigänger den Teppich unter den Füßen weggezogen. Auch das ist eine römische Spezialität.

Was bleibt?

Den Blick auf die Menschen zu richten. Zu versuchen, ihre Geschichte zu erraten. Natürlich bedarf es der Fantasie. Natürlich führt uns die Fantasie von der Realität weg. Nein, nicht ganz. Wenn ich die Bilder der unzähligen (doch, im wahrsten Sinne des Wortes) Menschen sehe, die die Welt nur mehr auf ihren winzig kleinen Bildschirmen betrachten, so bin ich in einer Realität, die ich zwar nicht mag, der ich mich aber doch stellen muss. Platos Höhlengleichnis scheint sich zu verselbstständigen. Im schlechtesten Sinne.

Rom – © Thomas Michael Glaw

Die vielen, auf irgendwelchen Treppen schlafenden, die keinen Platz im Leben mehr haben und jeden morgen aus Berninis Kolonnaden verscheucht werden – wo der Papst ihnen erlaubt hat die Nacht zu verbringen – möchte ich hier nicht abbilden.

Mir fällt ein Wort aus dem Korintherbrief ein. Am größten aber ist die Liebe. Ich weiß nicht, was die beiden dachten, die sich so fest umschlungen hielten. Eigentlich wollte ich dort nur moderne Architektur fotografieren. Es war schön, ihre Innigkeit zu sehen, auch wenn sich in mir Kazuo Ishiguros Frage nach dem woher und wohin zu kristallisieren schien. Es ist schon erstaunlich, was und wie Literatur bewirkt.

Rom – © Thomas Michael Glaw

Aber vielleicht ist Liebe ja ein einfach zeitlos. Sie transzendiert unser Dasein.
Sie ist.
Und das ist schön.