Rowohlt-Gernhardt-Ente

Ihnen kommt der Titel merkwürdig vor? Da haben Sie völlig recht. Aber was soll man sonst an einem grauen Dezembertag schreiben? Als ich heute morgen aufstand, zugegebenermaßen um halb zehn, aber ich habe Urlaub, wirbelten draußen kleine, fiese Schneeflocken. Die Art von Flocken, die sich immer zwischen Hals und Kragen niederlassen und dann als einsamer Wassertropfen zwischen Stoff und Hals versinken.

Harry Rowohlt zu lesen ist ein ausgezeichneter Beginn für einen solchen Tag. Nicht weggeschmissene Briefe Band I. Selten etwas besseres zu Weihnachten bekommen.  Harry würde mir da, auf Wolke siebzehn, wo er derzeit sicher sitzt, zweifelsohne zustimmen. Der Kampf geht weiter, nicht war Harry? Er tut es wirklich, nur momentan sind die Protagonisten von „Martin“ bis „Siggi“ eher ins kabarettistische Genre abgeglitten. Sei’s drum.

Über Harry landete ich irgendwann bei Robert Gerhardt. Harry echauffierte sich furchtbar über eine ziemlich dumme Kritik von Fritz Raddatz in der ZEIT aus Anlass von Robert Gerhards 65. Geburtstag, Darf ich zitieren? „Raddatz, daß Sie ein dummes, unberatenes, abgebrochenes Ostzonen-Arschloch sind, das nie irgendwo ankommen wird, das ist ein alter Hut mit alter Krempe …“

Robert Gernhardts Gedichte polarisieren noch immer. Vielen sind sie zu humoristisch. Nicht ernst genug. Auch die Tatsache, dass Gernhardt relativ lange festen Reimformen verhaftet blieb, machte ihn in Deutschland eher verdächtig. Oder lächerlich. Weil nicht modern genug. Nein, ich möchte hier keinen Rundumschlag beginnen. Dazu bin ich, weiß Gott, nicht vertraut genug mit der Materie. Aber ein Nachdenken wäre es schon wert, oder?

Robert Gernhardt schrieb in einer seiner Poetik Vorlesungen, dass Lyrik bisweilen auch direkt zum Herzen sprechen könne. Er verglich das Gedicht mit der Vorführung eines Jongleurs, bei dem man sich auch keine Gedanken mache, warum die Bälle gleichzeitig in der Luft wären, sondern einfach das Schauspiel genieße. Vielleicht war es die Tatsache, dass ich gerade eine Serie von schwarz-weiß Bildern aus dem Jahr 2017 zusammenstelle, die in mir die Erinnerung an ein Brecht Gedicht wach rief. Erinnern Sie sich an „Die Liebenden“ ?

© Thomas Michael Glaw

Dieses Bild ist in mancherlei Hinsicht eines meines Lieblingsbilder aus diesem Jahr. Die beiden waren so versunken in einander. Ich komme mir als Fotograf nicht so oft als „peeping tom“ vor, hier war es fast der Fall. Ihre Intimität hatte etwas Unschuldiges, etwas Wunderbares, etwas, in das man nicht eindringen sollte. War es Neugierde, die mich dennoch bewog, ein Bild zu machen? Ich würde das bestreiten. Der Moment war einfach zu schön, um nicht festgehalten zu werden. Zumal in den Zeiten, in denen wir leben.

Aber wir waren bei Brechts „Liebenden“ stehen geblieben. Nachdem ich in einem anderem Leben die wunderbare Berlin/Frankfurter Ausgabe von Brechts Werken zurücklassen musste – nicht, dass sie dort je einer liest – bin ich in meinem neuen Domizil auf Suhrkamps „Ausgewählte Werke in sechs Bänden“ angewiesen. Heute morgen bemerkte ich wieder einmal die Lückenhaftigkeit dieses Machwerks. „Die Liebenden“ hatten sie schlicht vergessen. Vielleicht war es ihnen auch nicht wichtig genug. Darf ich es hier trotzdem noch einmal zitieren?

Seht jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon als sie entflogen
Aus einem Leben in ein anderes Leben.
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Daß also keines länger hier verweile
Und keines anderes sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen:
So mag der Wind sie in das Nichts entführen.
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
So lange kann sie beide nichts berühren
So lange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin ihr? – Nirgend hin. Von wem davon? – Von allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?
Seit kurzem. – Und wann werden sie sich trennen? – Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.

Passt doch zu dem Bild, oder?

Ich glaube Gernhardt hat recht. Es gibt Gedichte, da vergisst man die Form, um sich ganz dem Inhalt hinzugeben.

Irgendwann kam dann dann der Ruf nach einem verspäteten Mittagessen.
Ich hatte noch eine Entenbrust im Kühlschrank.

Was ich daraus fabriziert habe, sehen Sie hier:

Entenbrust, Rotkrautsalat, Honigschalotten – © Thomas Michael Glaw

 

Das Rezept dazu finden Sie, wie immer, auf http://www.steaktogether.com/what-we-cook/

 

 

 

 

 

 

Food

Ich weiß, mein letzter Blog war ein wenig depressiv. Das könnte ohne weiteres so weiter gehen. Jeden morgen, wenn ich die FAZ digital öffne (deren neue Werbeeinblendungen mir im übrigen gewaltig auf den Keks gehen) könnte man einen depressiven Blog nach dem nächsten schreiben. Erinnert sich noch jemand an Tschechows Gesetz (schreibt man den auf Deutsch überhaupt so)? Tschechow schrieb dereinst wenn eine Pistole im ersten Akt auftaucht, dann geht sie spätestens im dritten los. Bleibt die Frage, wann der dritte Akt von Trumps Präsidentschaft beginnt. Andererseits: Rom hat auch Nero überlebt. Asche hat auch etwas …

Aber ich wollte ja eigentlich über etwas völlig anders schreiben.
Food Photography.
So nennen das zumindest meine voll professionellen Kollegen, die sich damit beschäftigen Essen in Szene zu setzten.

Peperoncini – © 2017 Thomas Michael Glaw

Die Idee darüber zu plaudern kam mir, als ich eben jene Peperoncini heute Mittag auf meinem Balkon erntete. Mich befiel ein wenig die Melancholie aus Rilkes Herbsttag. Sie erinnern sich?

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen lesen lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Es ist ein großes Glück in dieser Jahreszeit nicht allein zu sein.

Aber zurück zu unserem Thema Essen. Mir hat Kochen schon immer Vergnügen bereitet. Ich habe es von meiner Großmutter gelernt (meine Mutter hat viele Talente, kochen gehört nicht dazu) und später immer wieder hospitiert. Ich koche wirklich gerne. Mich inspiriert es Neues zu schaffen und nachdem ich nicht begabt und/oder diszipliniert genug bin, es auf dem Feld der Kunst oder der Musik zu schaffen habe ich mir die Küche vorgenommen.

Auberginen – © 2017 Thomas Michael Glaw

Wenn ich das Lächeln auf den Gesichtern meiner Gäste sehe, macht es mich wirklich glücklich. Warum ich es bisher nicht fotografiert habe? Ich fand professionelle Food Photography in Magazinen immer sterbenslangweilig. Egal ob in Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Man versuchte stets irgendwelche arrivierten Köche (in letzter Zeit auch Köchinnen, obwohl für mich die einzig ernst zu nehmende Lea Linster bleibt) in Szene zu setzten. Das hat durchaus seine Berechtigung in der Werbefotografie. Die Ergebnisse auf dem Gebiet der Speisen fand ich jedoch überwiegend öde. Die Aufgabe für ein StartUp Essen künstlerisch in Szene zu setzten erwies sich jedoch als überaus spannend.

Artischoken – © 2017 Thomas Michael Glaw

Die Möglichkeiten mit Licht und Schatten, mit unterschiedlichen Tiefenschärfen zu spielen finde ich fast so spannend wie das Kochen. Obwohl es zugegebenermaßen bisweilen ein wenig in Stress ausartet. Warum? Haben Sie schon mal ein drei- oder fünfgängiges Menü für sechs Personen gekocht, versucht erstklassige Produkte kreativ auf den Tisch des Hauses zu bringen und diese nebenbei auch noch interessant und ansprechend zu fotografieren? Nein? Versuchen Sie es einmal. Spannend ist es auf alle Fälle.

Aber das stimmt so nicht. Es ist mehr als spannend. Beides inspiriert einander, auch wenn man sich das als Außenstehender nur schwer vorstellen kann. Kochen hat auch viel mit der Kunst der Präsentation zu tun, jeder Restaurateur wird ihnen das bestätigen. Das Auge isst mit und ich genieße  das „wow“ meiner Gäste wenn das Gericht aufgetragen wird mindestens ebenso wie das „wow“ nach den ersten Bissen.

Conciglie – © Thomas Michael Glaw

Was wir da so genau machen können sie auf dieser Website verfolgen. Vielleicht bekommen Sie ja Appetit und folgen der Inspiration.

Bon appétit.

Szenenwechsel

Von Berlin nach Essen.

Der Szenenwechsel könnte kaum krasser sein.

Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb, könnte man mit Isabella schillernd formulierend, aber so war es ja nicht.

Der zweite Teil unserer rebellischen Bilder befand sich im Folkwang Museum in Essen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass es einen kurzen Zwischenstopp in Münster gab, mit einer wunderbaren, von Herrn Pinkus Müllers Gerstensaft begleiteten, mitternächtlichen Gulaschsuppe und unter Zurverfügungstellung (ist Deutsch nicht eine wunderbare Sprache?) von vier Rädern für die Fahrt nach Essen.

Wenn man von Münster nach Essen fährt, so rollt man entlang langsam verfallender Autobahnen (die Pleiterate unter den Städten im Ruhrgebiet ist gigantisch und der Wille von Mutti Merkel, dem Pott seine Lebensadern zu erhalten offenbar gering) in mittlerweile wieder überaus spannende Städte. Ich meine das durchaus ernst. Wenn hier Ironie im Spiel wäre, hätte ich mich natürlich an Paul Fechters Rat gehalten, und den Satz kursiv gesetzt.

Folkwang Museum - © Thomas Michael Glaw

Folkwang Museum – © Thomas Michael Glaw

Der zweite Teil der Ausstellung, die sich mit dem rebellischen Bild auseinandersetzt (übrigens nur noch bis zum 19 Februar – leider) befindet sich im Folkwang Museum in Essen. Wenn man am Tag zuvor im c/o in Berlin war, haut einen dieser Teil der Ausstellung fast um.

Das Folkwang selbst ist schon ein Erlebnis.

Licht
Hell
Klare Gliederung
Freundliches, kompetentes Personal
Spannende Architektur

So war auch die Ausstellung gehängt.
Im Gegensatz zu Berlin begann man zu verstehen, warum die Fotografen so fotografierten.
Zusammenhängende Bilder waren auch zusammenhängend gehängt.
Licht behinderte nicht, es erhellte.
Kurze Videoclips von Gesprächen mit den beteiligten Fotografen taten ein Übriges.

Rebellische Bilder - © Thomas Michael Glaw

Rebellische Bilder – © Thomas Michael Glaw

Wir hatte außerdem Glück.
Nachdem wir gegen Mittag dort aufkreuzten, hatten wir die Ausstellung für etwa zwei Stunden quasi für uns. Ich vermute einmal, um die Mittagszeit geht man in Essen nicht ins Museum. Die Frequentierung änderte sich schlagartig gegen 14:30 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt experimentierte ich allerdings bereits mit der Belichtung, um einen bestimmten Winkel des Museum festzuhalten.

Die Ausstellung beschäftigte mich noch lange.

Vielleicht muss ich wirklich auch meine, viel zu lange von Düsseldorf bestimmte, Sichtweise korrigieren. Vielleicht sollte man wieder mit mehr Mut an Themen herangehen. Ungewöhnliche Sichtweise pflegen. Und Menschen wieder erklären, warum man sie fotografiert. Anstatt zu kuschen und jedem Deppen zu versichern, dass man sein Bild garantiert nicht publiziert.

Verbindungen - © Thomas Michael Glaw

Verbindungen – © Thomas Michael Glaw

Fotografen dokumentieren Leben

Und das sollte so bleiben.

PS: Auf dem Heimweg gab es jede Menge Grafik im Himmel. Ich finde auch Stromleitungen faszinierend.

Der Bauch von Paris

Nein, wir reden hier nicht über Florent, denn es geht nicht um Emile Zolas Roman und auch nicht um die alten Markthallen von Paris, die übereifrige Stadtplaner in ein Viertel verwandelt haben, von dem ich lieber schweige als spreche.

Mir geht es um den Bauch der Pariser, genauer gesagt, um die Dinge, mit denen sie ihn zu füllen gedenken. Wenn man an einem Samstagmorgen in einem beliebigen Pariser Stadtviertel spazieren geht, in meinem Fall war es das 13. Arrondissement, begegnen einem zahlreiche Menschen mit einem „Pflasterporsche“. In Deutschland benutzt man dieses Wort, um, ein wenig despektierlich, das Wägelchen zu beschreiben, das ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger hinter sich herziehen, um hernach ihre Einkäufe nach Hause zu transportieren. In Paris benutzt man es zu dem nämlichen Zwecke, nur dass Jung und Alt zu diesem Hilfsmittel greifen, um wunderbar frische Lebensmittel einzukaufen. Während in Deutschland die Packungen, die „Lidl“, „Aldi“ oder irgendeinen anderen Discounter verkünden, aus der Tasche ragen, so sind es in Paris frisches Gemüse, Obst, Einwickelpapier vom Metzger, von Fischhändler, aus dem Käsegeschäft, oder die Hälse der Flaschen, die man beim Weinhändler erstanden hat.

Paris - Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Paris – Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Gehen Sie einfach einmal durch eine Straße wie die Rue Mouffetard und Sie werden aus dem Staunen nicht mehr hinauskommen. Fisch, bei dessen Duft Sie nur an das Meer denken, Metzger, wo Sie nicht nur das Übliche bekommen, sondern auch frischen Hasen, frisches Kaninchen, diverse Arten von Geflügel, Käsegeschäfte, bei deren Auswahl die völlig überteuerten Käsetandler auf meinem heimischen Viktualienmarkt blass werden dürften und eine qualitativ hochstehende Weinauswahl zu akzeptablen Preisen, die hierzulande ihres Gleichen sucht.

Paris - Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Paris – Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Sie sagen, die Rue Mouffetard sei mittlerweile eine Touristenattraktion? Mag sein – Hausmann hat sie bei seiner Umgestaltung von Paris außen vorgelassen, weil sie auf einem Hügel liegt. Das führte dazu, dass sie ein wenig ihres mittelalterlichen Charakters erhalten konnte. Aber es sind die Pariser, die dort einkaufen, nicht die Touristen. Mit den Händlern kann man reden, scherzen, ihre Produkte probieren. Man kann sich von einer Woge unterschiedlichster Düfte tragen lassen.

Zu den Düften gehören im Übrigen auch die Backwaren. Ein Freund, den ich mehr oder weniger zufällig in Paris traf, sagte mir, dass er es sich nur schwer vorstellen könne, ohne deutsches Brot zu leben. Gewiss, auch mir würde ohne die Hofpfisterei in München etwas fehlen. Andererseits passt dieses herrlich „resche“ Brot, wie der Bayer sagt, das man hier in Paris erstehen kann, einfach perfekt zu sehr vielen Gerichten und der Duft der Backstuben ist unvergleichlich. Gehen Sie einfach einmal durch Paris und halten Sie nach einem Artisan Boulanger Ausschau, nach einem handwerklichen Bäcker. Sie werden ihn an jeder zweiten Straßenecke finden. Wo Sie bei uns nur noch den Krampf aus der Fabrik bekommen, gibt es dort noch viele Bäcker.

Paris - Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Paris – Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Straßen wie diese, Märkte wie diese, die sich im Übrigen überall in Paris finden lassen, stellen für mich einen der größten Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich dar. Auch wenn sich in der deutschen Küche einiges zum Besseren gewandelt hat, so geht hierzulande immer noch Masse vor Klasse – sonst hätten wir nicht an jeder Straßenecke einen Discounter. Menschen, die hier qualitativ hochwertige Lebensmittel kaufen, verbinden damit häufig eine Mission (Gesundheit, Artenschutz, Religion). Ich will dagegen gar nichts einwenden, aber ich finde es großartig, dass die Franzosen – zumindest überwiegend – allein des Geschmacks wegen zu frischen, saisonalen und regionalen Produkten greifen.

Wenn ich über diese Märkte gehe bedauere ich immer, in Paris keine Wohnung zu haben und selbst zum Kochlöffel greifen zu können. Irgendwann einmal … Mir kam auch der Markt in Münster in den Sinn, als ich diese Zeilen schrieb. Auch dort hat man die Gelegenheit gut einzukaufen – auch wenn das Ambiente vielleicht ganz an die Rue Mouffetard heran reicht. Letzten Herbst erstand ich dort sogar einmal einige Goldparmänen, die meinem Apfelrotkohl nach Elsässer Rezept einen unvergleichlichen Geschmack verliehen.