Freundlich, fast sommerlich präsentiert sich das Bild im Februar:
Durch die welken Gräser am Ufer schaut man auf die Weite des Staffelsees, in dem sich der blaue Himmel spiegelt. Leicht plätschern die kleinen Wellen an das seichte Ufer, wo das Wasser den Blick auf den Grund des Sees ermöglicht.
Selten wäre dieses Bild in den letzten Wochen machbar gewesen, waren doch immer wieder Schnee- und Regenwolken am Himmel im Voralpenland. „Man wird fast in das Bild hereingezogen“ sagten einige bei der Betrachtung des Bildes.
Auch auf mich übt das Bild eine besondere Wirkung aus – es wirkt aus sich heraus. Anders als viele Fotos, die an ein bestimmtes Erlebnis, eine Begegnung, ein Gespräch oder eine Stimmung erinnern, die einen Moment festhalten oder dokumentieren, steht dieses Bild für sich. Es eröffnet dem Betrachter neue Horizonte, ermöglicht ein Weiterdenken.
Wasser – einerseits transparent, durchsichtig – selbst dort, wo es bereits mehrere Meter tief ist, ermöglicht es einem, auf den Grund zu schauen. Aber manches, was wir dabei sehen, täuscht. Die Bewegungen der Oberfläche verfremden die Dinge, die das Wasser bedeckt. Durch die veränderte Brechung des Lichtes kommt es zu optischen Täuschungen, die Tiefe des Wassers ist nur schwer abschätzbar, einiges wirkt kleiner, als es eigentlich ist.
Andererseits verliert das Wasser bei der Wahl des richtigen Winkels seine Transparenz und wird zum Spiegel. Es gehört zu den wenigen Elementen, die Abbilden können.
Transparenz und Spiegel – diese beiden Eigenschaften erlebe ich auch im täglichen Leben. Auf den ersten Blick erscheint mir etwa, das ich erlebe, sehr klar, verständlich und eindeutig. In einem Gespräch erzählt mir ein Freund, was er erlebt hat; ich plane eine Veranstaltung oder strukturiere meinen nächsten Tag. Aber bei näherer Betrachtung entdecke ich, dass meinem Freund ganz andere Details bei seiner Erzählung wichtig waren; beim Umsetzen meiner Tagesplanung stehe ich plötzlich vor ungeahnten Hürden, „Untiefen“, die ich bei meiner Planung nicht sehen konnte, weil ich diese Perspektive gar nicht bedacht hatte. Manchmal erlebe ich aber auch, dass meine Perspektive nicht stimmte, ich eigentlich nicht mein Gegenüber sondern nur mich selbst, meine Erfahrungen und Ideen gesehen habe, aber nicht den Menschen, der vor mir steht.
In diesen oft sehr grauen Februartagen lasse ich mich gern auf einen Ausflug ein, auf die Weite des Sees, genieße das leichte Wellenspiel und Plätschern und betrachte mich in seinem Spiegel.
Gastbeitrag von Dorothea Elsner.
Das Bild ist das Blatt „Fabruar“ aus unserem Jahreskalender 2015 „La forma dell‘ acqua“ zur Ausstellung „formen des wassers“. Der ganze Kalender findet sich unter http://www.thomasmichaelglaw.com .