Brügge oder Zuviel

Wenn man in der Nähe des Kanalsystems wohnt, das Brügge umschließt, bemerkt man zunächst gar nicht so viel von den allgegenwärtigen Touristen. Das eine oder andere Paar geht über die schmalen Bürgersteige, die durch entlang der Hauswände abgestellten Fahrräder noch enger werden. Wenn man eine Wohnung, oder wie wir ein Haus in der Peripherie zeitweise bewohnt, fällt einem Ende August allenfalls auf, dass sich Belgien noch im Sommerferienmodus befindet. Die Bäcker und Metzger sind noch geschlossen. Beim morgendlichen Lauf entlang des Kanals begegnen einem nette Menschen, die lächeln und freundlich grüßen. Katrijn hat mich beim gemeinsamen Stretchen sogar auf einen Kaffee eingeladen. Das rüde Erwachen folgt, wenn man sich nach der ersten, in wunderbarer Ruhe verbrachten Nacht, in Richtung Stadtzentrum aufmacht.

Brügge – © Thomas Michael Glaw 2018

Je näher man diesem kommt, desto zahlreicher werden die Menschen, die irgendwie unorientiert, obwohl meist die Frauen (Mütter, Gefährtinnen, Töchter) die Nase in einen Führer zu haben scheinen, einem nicht näher definierten, magischen Zentrum zustreben.

Die Vielgestalt der Sprachen nimmt zu, die Vielgestalt der Geschäfte nimmt ab. Wer braucht denn wirklich 12 Schokoladengeschäfte (belgische Schoki natürlich) auf einem viertel Quadratkilometer? Zara, Boggi, H&M und wie sie alle heißen, habe ich auch in München. Gewiss, ich hatte damit gerechnet, dass es auch in Brügge ein gerüttelt Maß an Geschäften gibt, die den modernen Touristen bedient. Dass sie die ganze Altstadt in Besitz nehmen, hat mich schon erstaunt. Da ist mir Rom oder Madrid lieber. Zugegeben, diese Städte sind schlicht größer, da fällt es nicht so auf.

Erstaunlich fand ich allerdings auch die hohe Zahl an Leerständen: zum Verkauf oder zur Vermietung anstehende Geschäftsräume, überdies viele leere Galerien. Ob der Verkauf der Seele an den Tourismus vielleicht nur zum Teil geglückt ist?
Wenn dieser Verkauf überhaupt ein Glück sein kann.

Brügge – © Thomas Michael Glaw 2018

Der Begriff des „overtourism“ macht seit Jahren die Runde. Er findet sich in der Neuen Zürcher Zeitung ebenso wie in der Financial Times  und anderen, angesehenen internationalen Publikationen. Ich verband in der Vergangenheit das Phänomen des übermäßigen Tourismus meistens mit Venedig. Diesen Sommer ist mir in Rom bewusst geworden, was der plötzliche Zustrom von 60.000 Menschen – in diesem Fall Jugendliche überwiegend mit den besten Intentionen – für eine Stadt bedeutet.

Durch Brügge lief ein wohlhabendes, internationales Publikum, wir hörten ein dutzend Sprachen oder mehr. Vor jedem auch nur halbwegs alt wirkenden Haus bewegten sich zahllose Handies durch die Luft, um es auf die nicht mehr existierende Platte zu bannen und danach nie mehr anzuschauen. In Navid Kermanis Buch „Entlang der Gräben“ sagt eine Führerin, das Fotografieren der Fresken sei auch ohne Blitz verboten. Wegen der Eiligkeit. Als uneiliger Fotograf, finde ich, dass sie durchaus Recht hat. Auch ein gutes Bild bedarf der Zeit, des Nachdenkens über Licht und Schatten, und gegebenenfalls des Wiederkommens. Aber es geht gar nicht mehr um Bilder. Das Selfie ist zur Gewohnheit geworden. So wie man das Telefon abnimmt, wenn es läutet. Man denkt nicht darüber nach und vergisst es danach schnell. So wie die auf dem Handy gespeicherten Bilder. Außer sie sehen richtig cool aus. Dann kann man sie posten.

Brügge – © Thomas Michael Glaw 2018

Für mich sind die Touristen, die ich in Brügge erlebte, die Totengräber des Reisens. Oberflächlich oder gar nicht informiert, vor allem aber mehr oder minder gar nicht interessiert an den Menschen, die dort leben, an der Sprache, die diese Menschen sprechen, an der Kultur, in der sie leben. Eigentlich möchte man nur ein paar schöne Bilder machen, sagen, dass man da gewesen ist. Belgische Schokolade gekauft hat. Die Geschäfte mit belgischer Spitze waren übrigens meistens leer. Too old school.

Es gibt Orte, wo mich dieser Tourismus nicht überrascht. Im schönen, alten Brügge war das schon der Fall. Vielleicht hatte ich einfach die Anziehungskraft der Stadt unterschätzt, noch mehr allerdings den Einfluss auf das normale Leben im städtischen Kontext. Der Gesichtsausdruck der Brügger, wenn sie sich auf ihren Fahrrädern durch die Menschenmassen schlängeln, ist zwischen genervt und stoisch. Die Stadt scheint vom Tourismus zu leben. Dass dem nicht so ist, bemerkt man erst, wenn man jenseits des Altstadtgürtels unterwegs ist und sieht, wie viel mittelständische Industrie existiert; wenn man durch normale Wohngebiete schlendert und normale Märkte und Geschäfte besucht – wenn sie denn offen waren. Wenn man mit normalen Menschen in der Kneipe am Eck ein Bier trinkt. Dort beginnt man mit drei fehlerbehafteten Sätzen auf Niederländisch ein Gespräch, das sich meist auf Englisch fortsetzt. Und Spaß macht.

Ob die Stadt ihre Seele den omnipräsenten Heuschrecken verkauft hat, die nichts verstehen und alles konsumieren? Die Gastronomiepreise bestärken diesen Eindruck. Das belgische „Nationalgericht“ moules frites habe ich selbst in Paris schon deutlich günstiger gegessen. In Brügge ist es ab 24 Euro pro Person zu haben … Croque Monsieur haben wir zu Preisen zwischen 11 und 16 Euro gesehen. Das ist, nebenbei bemerkt, ein Toast mit Käse. In der Nähe des Place d’Italie in Paris bezahle ich dafür 4,50 Euro.

Brügge – © Thomas Michael Glaw 2018

Der Tourist mag es zahlen, und dennoch ist es der Massentourismus, der zukünftig das Reisen schwierig, wenn nicht gar unmöglich machen wird. Städte, die aus diesem Trend Kapital schlagen wollen, sind zur geschminkten Gesichtslosigkeit verdammt. Sie müssen oberflächlich versuchen, den einzigartigen Charakter ihrer Stadt zu präsentieren, während ihnen hauptsächlich daran gelegen sein muss, die Notwendigkeiten des internationalen Tourismus zu befriedigen. Sie müssen Touristenströme managen, die glauben, sich in einem einzigen großen Disneyland zu bewegen. Und dort ihr Geld verteilen. Das, was die Städte wirklich ausmacht, historisch, gastronomisch, aber auch zwischenmenschlich, bleibt dabei auf der Strecke.

Für mich bedeutet das nichts anderes als Selbstaufgabe, es bedeutet die Transformationen historischer Stadtzentren, zauberhafter Landschaften, zu Themenparks.

Europa, das so voll von realer Geschichte ist, wird nur noch second hand erfahrbar werden. First hand ist zu kompliziert. Vielleicht auch zu ehrlich. Auf alle Fälle zu groß und zu bunt. Wir mögen es heute aber nur einfach und am besten auf einem kleinen Bildschirm.

Atlantikwall und andere Bunker

Bunker sind nicht mehr zeitgemäß … oder doch? Wenn man die Schlagzeilen überfliegt, den kurzen Nachrichtenschnäppchen zuhört, die in Rundfunk und Fernsehen angeboten werden, könnte man meinen, es wäre höchste Zeit, wieder mit dem Bau neuer Bunker zu beginnen.

Nicht nötig.

Man könnte auch einfach ein Stück Dünenlandschaft an der belgischen Küste erwerben, dort stehen noch genügend herum. Als ich darüber las, dachte ich mir: kann doch nicht sein. Da hat einer irgendwo zwei Bunker fotografiert und erzählt jetzt, die gäbe es überall. Weit gefehlt. Alles was in Deutschland, aber auch in Frankreich, Italien, Österreich und anderen Ländern nach den zweiten Weltkrieg zerstört wurde – um es dann Ende der fünfziger Jahre, atombombensicher, und mit erheblich größerem Aufwand neu in irgendwelche Berge und Hügel zu sprengen – ist an der belgischen Atlantikküste stehen geblieben. Die Frage nach dem „warum?“ konnte mir niemand schlüssig beantworten. Ich hätte mit Gedenkstätten gerechnet, mit der einen oder anderen aus historischen Gründen erhaltenen Geschützstellung. Nicht aber damit, dass man beim Spazierengehen in den Dünen regelmäßig vor kleineren oder größeren Bauwerken aus Beton steht, die sich einfach in die friedlichen Dünen verirrt zu haben scheinen. In einem Blog habe ich gelesen, dass sich ab und zu Liebespaare dahin zurückziehen. Ich könnte mir eine romantischere Umgebung feststellen. Es sind doch eigentlich genügend Dünen da, Sterne auch, zurzeit sogar Vollmond …

Belgische Küste zwischen Oostende und Nieupoort – © Thomas Michel Glaw 2018

Interessant fand ich meine eigene Reaktion auf diese steinernen Reminiszenzen eines Krieges, der 12 Jahre vor meiner Geburt beendet wurde. Während mich die Flanders Fields, die Hügel und Felder, die Friedhöfe, Plätze und Dörfer rund um Ypern wirklich bewegten, stand ich diesen Bauwerken entlang der Küste eigentlich nur erstaunt gegenüber. Natürlich denkt man den „D-Day“, auch wenn diese Strände ein ganzes Stück weiter südlich waren, natürlich drängen sich Erinnerungen an Filme und an Bücher auf. Das Gefühl für die Schrecken des Krieges, das in Ypern überaus präsent war, stellte sich bei mir jedochnicht ein.

Vielleicht ist es die Zufälligkeit, mit der man über diese Betonklötze stolpert, vielleicht ist es die Abwesenheit von Friedhöfen, die es einfacher macht, den Gedanken an den tausendfachen Tod, der sich auf diesen Stränden ereignet hat, zu verdrängen.

Belgiscge Küste zwischen Oostende und Nieupoort – © Thomas Michael Glaw 2018

Mein Sohn würde wahrscheinlich sagen, es sei schon ziemlich schräg. Die Strände sind durchaus einen Besuch wert, die Küstenstädte weniger. Wo es in Italien tausende von „letti sole“ am Strand aufgereiht gibt – Ensemble, die ich von je her vermieden habe und bestenfalls fotografisch oder geometrisch interessant finde – hat man in Belgien die Küste mit hochaufragenden Apartmenthäusern zugekleistert. Den etwas hilflos in den Dünen herumstehenden deutschen Befestigungsanlagen hat man Wohnanlagen für Durchschnittsbürger gegenübergestellt, in denen man auf 40 oder 60 Quadratmetern seinen Sommerurlaub verbringen kann. Die Häuser erinnerten mich an Bienenwaben, nur nicht ganz so kunstvoll – und definitiv nicht so süß gefüllt. Ein Apartment neben dem nächsten und ganz viele übereinander. Es ist eine graue Mauer entlang der See, die deutlich bedrohlicher wirkt als die Bunker, die ein paar hundert Meter weiter südlich in den Dünen stehen.

Strand bei Oostende – © Thomas Michael Glaw 2018

Es sind Formen des Tourismus, die ich nicht verstehe. Warum quetscht man sich samt Familie für zwei oder drei Wochen auf engem Raum zusammen? Warum in einer hässlichen Stadt? Warum an einem windigen Strand, wo es oft regnet und man stets die kolossalen Unterbringungsanstalten im Rücken hat? Es erschließt sich mir noch weniger, als die Touristenmassen, die sich durch den historischen Kern von Brügge wälzen. Aber davon später.

Silencio

Ich bin immer wieder gerne in Rom. Ich mag das quirlige, das schnelle Gespräch im Café gegenüber, das entspannte Umgehen miteinander, sofern man der Sprache leidlich mächtig ist. Dieses mal waren es fünf Tage in Rom. Gut, in einer Wohnung im Zentrum, sprich in Monti, und mit viel Arbeit. Wir haben fast zwei Stunden „Video Footage“, wie das auf Neudeutsch heißt, für ein Projekt im Rahmen von Mediathoughts realisiert.

Wenn man nur für zwei Tage in Rom ist, fallen einem die permanente Lautstärke und die Massen an Touristen nicht so auf – oder man ignoriert sie einfach. Dieses Mal waren wir fünf Tage lang in der ewigen Stadt und sie machten mich eher nachdenklich. Die permanente Lautstärke, der konstante Fluss überaus überflüssiger Konversation, machten es mir manchmal schwer, meine eigenen Gedanken zu hören.

Roma – © Thomas Michael Glaw

Ein Blick in den Gang des Wohnhauses gegenüber vermittelt einen Moment der Stille. Römer reden gerne. Römerinnen zumal. Ich genieße es bisweilen sogar, dem völlig sinnfreien Geplauder zu lauschen. Es ist, als bräuchten die Damen unterschiedlichsten Alters die Form der Konversation, um einander zu beweisen, dass sie noch leben. Denn über wirkliche Themen spricht da niemand.

Fatal wird es, wenn Römer und Touristen sich vermischen und man als argloser Besucher nur noch in einer Kakophonie von Lauten durch die Stadt geht. Doch ja, geht. Ich gehe gerne, nicht laufen, das tue ich auch, morgens im Park. Gehen. Langsam. Mit offenen Augen. Meine Augen sind leider immer die Augen des Fotografen, was in Rom dazu führen kann, dass man sich den Knöchel bricht, weil mal wieder einmal ein Schlagloch übersehen hat.

Roma – © Thomas Michael Glaw

Heute Mittag waren wir in einem durchaus gut beleumundeten Restaurant. Wir wollten nur einen Salat und Glas genießbaren Weißweins, vielleicht danach einen trinkbaren Café, wie man hierzulande den Espresso nennt. Wir kamen in eine dunkle Höhle, die den Charme einer Bahnhofsgaststätte verströmte, wurden mit abstruser Musik beschallt und hatten leider nach vier Stunden Arbeit am Set nicht den Mut, auf dem Absatz umzukehren.

Gott sei Dank gibt es auch noch ruhige Punkte in Rom.

Parco Aquedotti – © Thomas Michael Glaw

Gott sei Dank, gibt es auch noch Menschen, Freunde, die um die Wichtigkeit der Ruhe wissen.

Die Mehrheit scheint sich voll konzentriert diesem bisweilen durchaus nicht unnützen kleinen Bildschirmen zu widmen, aus denen doch – zumindest meiner Meinung nach – nichts großes entspringen kann.

Aber die Welt ist ja voller Überraschungen. Wir lesen darüber jeden morgen in der Presse. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin der Meinung, dass ein Haufen des Unsinns der hier, in Spanien, in der Türkei, in Polen und nicht zu vergessen, in den USA , passiert, weil die Menschen, und auch  gerade die „führenden Köpfe“, nicht mehr in der Lage sind, in Ruhe und ohne das permanente „pling“ irgendeines dämlichen mit „dem Netz“ verbundenen Gerätes nachzudenken. Nachzudenken darüber, wie sie Dinge besser machen könnten. Und nicht, wie sie den Trieb der Massen, die auf eben diesen medialen Wegen unterwegs sind, befriedigen.

Es wäre interessant zu wissen, was José Ortega y Gasset heute schreiben würde.

Boom !

oder der dritte Weltkrieg in Neuperlach. Es war das erste mal, dass wir Silvester hier verbracht haben, aber es ist durchaus eine Erfahrung. Tausende waren der Meinung, sie müssten den ganz großen Knall veranstallten, auf mich wirkte das alles eher befremdend.

Silvester in Neuperlach - © Thomas Michael Glaw

Silvester in Neuperlach – © Thomas Michael Glaw

Für mich als Fotografen war der zunehmende Nebel die wirkliche Herausforderung des Abends und zugleich eine Chance für außergewöhnliche Aufnahmen.

Die Bedrohung des Terrors, der gestern seine Finger nach uns ausstreckte, hat uns hier am Stadtrand nicht erreicht. Es war trotzdem beeindruckend, wie Politik und Sicherheitskräfte auf diese Bedrohung reagiert haben und wie die Münchner im Zentrum sich nicht aus ihrer Feierlaune bringen ließen. Die Zivilgesellschaft hat funktioniert.

Silvester in Neuperlach © Thomas Michael Glaw

Silvester in Neuperlach © Thomas Michael Glaw

Die Bilder hier geben nicht wirklich die Lärmkulisse, die Kakakophonie und die überbordenden Lichtelemente wieder. Verglichen mit anderen europäischen Städten war es eine schräge Sinfonie …

Silvester in Neuperlach © Thomas Michael Glaw

Silvester in Neuperlach © Thomas Michael Glaw

 

O komm, O komm, Emanuel

Ein ungewöhnlicher Titel für einen Text, der sich im Prinzip mit Fotografie auseinandersetzt. Wohl war . Eigentlich wollte ich etwas Passendes zum zweiten Advent schreiben, aber all das, was im Moment auf diesem kleinen, blauen Ball inmitten des Universums passiert, lässt kaum Zeit und Muße aufkommen für eine Zeit des Nachdenkens und Wartens.

Baum - © Thomas Michael Glaw

Baum – © Thomas Michael Glaw

 

Die Unruhe der Zeit spiegelt sich für mich wider in den nackten Bäumen, die uns umgeben. Ihr Leben ist völlig konzentriert auf ihr Inneres, ihre Schönheit reduziert auf minimalistische äußere Strukturen.

In meinem Adventskalender fand ich heute morgen einen kleinen Brief, der mit einem Lied begann:

„O komm, o komm, Emanuel,

mach frei dein armes Israel!

In hartem Elend liegt es hier,

in Tränen seufzt es auf zu dir.

Bald kommt dein Heil: Emanuel!

Frohlockend jauchze, Israel!

Bäume - © Thomas Michael Glaw

Bäume – © Thomas Michael Glaw

In dem kleinen Brief las ich weiter:

Dieses Lied findet sich im alten Gotteslob im Eigenteil Münster. Seine Moll Stimmung und das musikalische Aufbäumen unterstreicht die Verzweiflung, die das Volk Israel ergriffen hat; und dennoch hoffen sie auf das baldige Kommen des Heiland – des Emanuel.

Als Kind und als Jugendliche habe ich dieses Lied zwar oft gesungen aber die Situation, die es beschreibt, blieb mir fremd. Ich sah es im Kontext auf das Warten auf Weihnachten, ein Lied des Wartens.

Heute in einer Zeit, in der sich tausende Menschen ohne eine Perspektive in ihrer Heimat auf den Weg machen, die alle Hoffnung, das es in ihrem Land besser werden kann, aufgegeben haben und selbst zu schwach, zu ängstlich oder klein sind, das Ruder herumzureißen, klingt das Lied fast wie: „den Kopf in den Sand stecken und auf ein Wunder hoffen.“

Baum - ¨ Thomas Michael Glaw

Baum – ¨ Thomas Michael Glaw

Es war dieser Moment, als mir das Bild der winterlichen Bäume in den Sinn kam. In ihnen steckt alles, was sich im Frühjahr wieder die Bahn brechen wird: Schönheit, Fruchtbarkeit … alles in allem ein kleines, großes Wunder.

Ich bin sicher, dass die Lösung all unserer Probleme auch schon in uns steckt; wie der Baum müssen aber auch wir erst durch den Winter kommen und zudem darauf achten, dass niemand unsere Bäume fällt, denn in den Wüsten, in denen radikale Religionen gedeihen, wachsen keine Bäume. Warten also auch wir auf Emanuel.

Danke Doro für deine Gedanken.

 

 

Madrid mi amor

Why do I write a text about a city in Spain in English? Mainly because I would like to make my friends around the globe curious to visit this place; and as many of them show a most regrettable lack of German language knowledge, English seemed to be the language of choice.

This blog most of the time deals with a visual approach to life, with the way things appear to me, with the ways I catch them using lenses and various other hard and software. There are times when I long for my old Nikon and what today is sold as Agfa APX 100 …. Still Madrid offers so much to the eye, that it seemed worth to add a few sentences and otherwise let a few pictures speak.

Calle de Las Huertas - Madrid © Thomas Michael Glaw

Calle de Las Huertas – Madrid © Thomas Michael Glaw

 

“Madrid mi amor” is true, I fell in love with city immediately after arrival. It reminded me of the lightness of being without being unbearable. Whoever you met, whoever I spoke to in my rather halting Spanish was patiently listening, smiling, and offering help and advice.

When celebrating my birthday in a little restaurant close to Plaza de Jacinto Benavente, the waiter asked whether he should take a photo and, after commenting “Que máquina!” on the sheer weight of my equipment, took a shot and then dashed off to take pictures of his many colleagues behind the bar and in the kitchen. It all happened so fast that I was not worried for a single moment … it is little moments like this that make Madrid a very special place.

Bar at the Paza del Angel - © Thomas Michael Glaw

Bar at the Paza del Angel – © Thomas Michael Glaw

Before flying down for the weekend I had read a story by Carmen Laforet titled “Doña Almudena”, about an old lady refusing to leave her small flat in the heart of Madrid and move in with her wealthy son, as she fears she would not be able any more to roam the streets, have coffee with her friends and talk to the local shop keepers. Even as a foreigner with limited language knowledge you notice how easy it is to chat someone up, talk about things they offer or discuss the quality of coffee or tapas with the people sitting next to you.

Sunday market at the Plaza Mayor - © Thomas Michael Glaw

Sunday market at the Plaza Mayor – © Thomas Michael Glaw

Despite all the hardship the country has been through, at least in Madrid, it managed not only to maintain a life worth living, it also struck me as a remarkable combination of old and new. The pictures, deliberately in black and white as well in a colour, hopefully transport this feeling of mine.

Perspective of the Museum Reina Sofia Madrid - © Thomas Michael Glaw

Perspective of the Museum Reina Sofia Madrid – © Thomas Michael Glaw

One last little story: Dining out on the second night we tried to attract the waiter’s attention in order to pay. It was approaching Midnight and we had to get up fairly early the following day. The fellow seemed to be totally absorbed by his mobile phone … finally we made eye contact and he came grinning to our table letting us into his little secret : He was using an app to learn Chinese to be able to communicate with the increasing number of Chinese tourists and because he found the language fascinating. I just couldn’t resist commenting: “ Shi hao, ni shue hanyu” (It is good that you speak Chinese). Well, what does it say in Proverbs 16,18: Pride cometh before destruction … As of then we both tried our best to communicate in a language that we both weren’t familiar with, but we were part of the family now, treated with various drinks and the idea of an early night had to be … postponed 🙂

Evening sun of the Reina Sofia - © Thomas Michael Glaw

Evening sun of the Reina Sofia – © Thomas Michael Glaw

Panoramafreiheit

Das Europäische Parlament wird sich am 9. Juli mit einer Änderung des Urheberrechts befassen. Ein sperriges Thema meint ihr? Sicher ist es kompliziert, aber es geht uns alle an – und nicht nur uns Fotografen. Ein praktisches Beispiel? Um dieses Bild einer Fassade aus Edinburghs New Town veröffentlichen zu dürfen bräuchte ich nach der Gesetzesänderung ich die Einwilligung des Architekten oder des Besitzers oder beide …

Edinburgh New Town - © Thomas Michael Glaw

Edinburgh New Town – © Thomas Michael Glaw

Dieses Gesetzesnovelle wäre nicht nur der Tod der Architekturfotografie, sondern jeglicher Fotografie im öffentlichen Raum. Und es betrifft praktisch jede und jeden, denn mit dem Upload in ein soziales Netzwerk stimmt man automatisch der gewerblichen Nutzung zu – nur für die, die das noch nicht wussten. Ein Artikel in der gestrigen FAZ erklärt es sehr schön.(http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/panoramafreiheit-in-gefahr-das-betrifft-jeden-13668160.html)

Die Europaabgeordnete Julia Reda hat den Bericht zum Urheberrecht für den Rechtsausschuss des EP erarbeitet, der leider durch die Abgeordneten in sein krassen Gegenteil verkehrt wurde, sie berichtet darüber in ihrem Blog: https://juliareda.eu/2015/06/panoramafreiheit-in-gefahr/

Gegen diese Gesetzesvorlage sollte man sich wehren – eine Online Petition steht hier: https://www.change.org/p/european-parliament-save-the-freedom-of-photography. Wer auch weiterhin die Freiheit haben möchte diese Welt bildlich festzuhalten sollte unterschreiben.

Persönlich werde ich mich auch direkt mit unseren Münchner Europaabgeordneten in Verbindung setzen um sie für dieses Thema zu sensibilisieren.

Es ist in den letzten Jahren schwierig genug geworden unser Leben in Bildern festzuhalten. Wenn wir nicht die Bilder der vergangenen Jahrzehnte hätten, wäre es um unser Wissen über das Leben der Menschen deutlich schlechter bestellt. Wir sollten uns das Recht künstlerisch zu dokumentieren nicht nehmen lassen.

Überfluss

Fontana dei Quattro Fiume - Rom © Thomas Michael Glaw

Fontana dei Quattro Fiume – Rom © Thomas Michael Glaw

 

Wie eine unebene, durchscheinende Wand wirkt das Wasser, das flächig in das Becken des römischen Brunnens fällt; die durchbrochenen Stellen geben den Blick auf den weißen Marmor frei.
Wasser als Element der Kunst, zur Inszenierung von Wohlstand und Reichtum – mit diesem Ziel entstanden nicht nur in Rom sondern auch in vielen anderen alten Städten unzählige Brunnen, die heute beliebte Sehenswürdigkeiten und Fotoobjekte sind.
Ich musste schmunzeln, als ich beim ersten Vertiefen in das Strategiespiel „Siedler“, die Anweisung bekam, Brunnen und Denkmäler zu bauen, um die Lebensqualität meiner Stadt zu steigern. Nicht nur im antiken Rom oder in der digitalen Reise zurück in die Vergangenheit wirken Brunnen positiv auf die Menschen. Auch bei uns sind die Orte, an denen man sie heute in Wohnanlagen, auf Plätzen und in den Städten findet, besondere Treffpunkte für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft:
Der Springbrunnen am Stachus in München erfrischt Jung und Alt im Sommer, seien es die Kinder, die durch die Wasserstrahlen laufen und sie versuchen zu fangen, seien es ältere Damen, Jugendliche, arabischen Touristen oder afrikanische Straßenverkäufer, die sich auf den Steinwürfeln sitzend von der kühlen Brise berieseln lassen. Um die Wasserschale einige Meter weiter, bei der aus einer Höhe von gut 3 Metern das Wasser in die Tiefe stürzt, ruhen sich die Menschen vom Stadtbummel aus und sammeln neue Kräfte. Aber auch weniger kunstvolle Brunnen wie der in unserer Wohnanlage oder in Einkaufszentren haben eine besondere Anziehungskraft, laden zum Ausruhen, Spielen und Verweilen ein.
Es ist vor allem das Wasser, die Lebendigkeit, die es ausstrahlt, die immer wieder neuen Wege, die es sich sucht und die Erfrischung, die es ermöglicht, das den besonderen Reiz ausmacht. Wer hat nicht den spontanen Wunsch, an einem sonnigen Tag hinein zu greifen, den Wasserstrahl zu fangen und sich abzukühlen?
Vielleicht nutze ich die ein- oder andere sonnige Mittagspause in den nächsten Wochen zum Verweilen an einem der vielen Brunnen..

Gastbeitrag von Dorothea Elsner zum Kalenderblatt Juni 2015

Konzentriert

Sprudelnd, gurgelnd, schäumend prescht das Wasser durch die Partnachklamm. In vielen Jahrtausenden hat es sich eine Schneise in den Fels gespült. Aus einem breiten, seichten Flussbett mit kleinen Ausbuchtungen, sanften Strudeln, die Trichter bilden und sich um sich selbst drehen, kleinen Stromschnellen, die Steine umspielen, verdichtet sich das Wasser und schießt mit zunehmender Geschwindigkeit durch das Felslabyrinth. Je nach Jahreszeit zeigt sich dort ein faszinierend anderes Bild, gefrorene Wasserfälle im Winter, tosendes Wasser zur Schneeschmelze im Frühjahr, das bis in den Sommer hinein alles mitreißt, was im Weg liegt. Im Herbst tauchen die Bäume die Klamm in sanftes gold-braunes Licht und es ist ein Vergnügen, selbst bei Regen halbwegs trockenen Hauptes durch die Gänge der Klamm zu gehen und den Wassermassen zuzuschauen.

Partnachklamm - © Thomas Michael Glaw

Partnachklamm – © Thomas Michael Glaw

Sprudelnd, überschäumend und mitreißend, so erlebe ich – leider viel zu selten – Menschen, die von einer Idee begeistert sind, die ein Ziel haben, das sie anstreben, ungeachtet aller Einwände und Hindernisse, weil sie davon überzeugt sind. Wie bei der Klamm konzentrieren sie sich darauf, lassen den Ballast des alltäglichen zurück, die Aktivitäten, die man aus Pflichtbewusstsein, aber nicht aus Überzeugung, macht, und stecken alle Energie in diese Idee. Sie entwickeln dabei eine Lebendigkeit, die mitreißt und begeistert.
Bei dem Weg durch die Klamm entdeckt man immer wieder Baumstämme und Äste, die verkeilt zwischen Steinen festsitzen, vom tosenden Wasser umspült, oder Zweige, die von Strudeln gefangen sich immer schneller um sich selbst drehen. Auch bei den Menschen, die sich von Ideen begeistern und mitreißen lassen, gibt es diese Steine, die Fragen, eigene Ideen und anderen Ansichten, die blockieren und einen auf der Strecke stecken lassen. Manchmal hilft ein einfacher Handgriff, ein Gespräch, das Hindernis zu beseitigen, um wieder mit dem Strom zu schwimmen, sich aktiv einbringen zu können, manchmal ist es aber auch die Erkenntnis, nicht am richtigen Ort zu sein, aussteigen zu müssen und sich eigene Wege zu suchen. Denn: nach der Klamm ist man ein anderer, nicht mehr der, der man vorher war, reicher an Erfahrungen und vielleicht auch der einen oder anderen blauen Flecken und Narben.

Gastbeitrag von Dorothea Elsner zum Kalenderblatt Mai 2015

Campo Verano

Ein altes Feld nennen die Römer ihren größten städtischen Friedhof, angelegt 1807. Rom ist voll von Friedhöfen, aber dieser ist zugegebenermaßen einer der interessantesten.

Campo Verano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Verano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Warum mich Friedhöfe anziehen? Nein, es ist keine morbide Ader in mir, es ist einfach die Chance ein wenig Frieden in der Hektik großer Städte zu finden. Das italienische „cimiterio“ geht auf das griechische κοιμητήριον (koimetérion) zurück, das soviel wie entlegener Ort bedeutet. Die meisten Friedhöfe, um bei dem deutschen Wort zu bleiben, sind nicht entlegen. Sie bieten aber ein wenig Frieden. Ich vermag nicht zu sagen, warum mir gerade bei diesem Wort der deutsche Ausdruck so gefällt …

Der Campo Verano ist auch bekannt als Campo Santo Verano, also als altes heiliges Feld. Im alten Rom ist es ein Ort, in dem man Atem holen kann, Geschichten nachspüren kann und, ja, auch großen Italienern seine Reverenz erweisen kann.

Campo Verano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Verano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Da gibt es Kinder und Alte, Berühmte und Menschen, die bestenfalls durch ihren Grabstein in den Rang einer Berühmtheit erhoben werden sollen. Wenn man vor Ungarettis schlichter Grabplatte steht, erinnert man sich fast automatisch an sein kürzestes Gedicht „M’illumino / d’immenso“.

Vor allem aber gibt es im Campo Verano Ruhe. Und es gibt, wenn man den Richtigen Zeitpunkt wählt, auch Sonne, die all diese memento mori ins richtige Licht rückt.

Schlimmstenfalls gibt es einen, tja wie soll man so etwas nenne, einen Inspektor, der, kaum 1,65 m groß, und sich an einer hellbraunen Herrenarmtasche festhaltend, auf einen zu läuft und plärrt „No, Photo, no photo!“. Vielleicht darf ich an dieser Stelle kurz auf zwei Typen eingehen, die das Leben in Italien mehr bestimmen als Pizza, Pasta und die Gazetta dello Sport zusammen: den furbo und den pignolo. Der furbo, übersetzt listig oder bauernschlau, mogelt sich an allen existierenden Regeln vorbei an den Anfang einer Schlange, bekommt seinen caffé und seine piadine immer zuerst und hat für alle anderen ein Lächeln und einen Sack von Ausreden parat.

Campo Varano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Varano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Unser vermeintlicher Friedhofsinspektor, ich weiß allerdings bis heute nicht wer oder was er wirklich war, gehört zur zweiten Spezies dem pignolo. Mein Wörterbuch schlägt dafür den deutschen Begriff Pedant oder gar Korinthenkacker vor – damit liegen sie gar nicht so schlecht. Ein pignolo hält sich immer an Regeln, vor allem versucht er aber, sie allen anderen auch dann aufzuzwingen, wenn sie eigentlich gar keinen Sinn machen. Entgegen landläufiger Meinung ist nämlich das auch so entspannte Italien sehr wohl mindestens so reich an unsinnigen Regeln wie Deutschland – die Italiener sind nur campione mondiale darin, sie zu umgehen. Nicht so der pignolo …

Unser pignolo versuchte uns klar zu machen, dass auf dem Friedhof fotografieren verboten sei. Nun gibt es dort kein Schild, dass ein solches Verbot verkündet, ein Friedhof ist auch keine Metrostation und kein Bahnhof, wo in Italien, wie in den Ländern des alten Ostblocks, bis heute das Fotografieren verboten ist. Gerade auf dem Campo Verano, wo unzählige Berühmtheiten, Kardinäle und nicht zuletzt der Held des italienischen Risorgimento, Giuseppe Garibaldi,  beerdigt sind, macht ein solches Fotografierverbot überhaupt keinen Sinn. Was macht man in einem solchen Fall? Nun man gibt vor kein Italienisch zu können, lächelt, sagt zwei oder dreimal „Grazie“ und der pignolo verschwindet wieder, schulterzuckend, und versucht 150 Meter weiter ein paar Bauarbeitern ihren Job zu erklären. Die sprachen italienisch …

Campo Varano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Varano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Natürlich sollte man sich an einem solchen Ort respektvoll verhalten, aber warum sollte man die Stimmung und in gewisser Hinsicht auch die Geschichten der Menschen nicht im Bild festhalten dürfen? Wer immer in Rom ein ruhige Stunde abseits der Massen verbringen will, dem empfehle ich einen Spaziergang auf dem Campo Santo. Nachdem er in der Nähe der Universität und des Studentenviertels ist, kann man in den umliegenden Straßen auch gut und preisgünstig zu Mittag essen …