Zwischen-Zeit

Grau und unruhig ist das Meer, unruhig wie die Welt um uns herum. Der frische Wind und die Strömung lassen das Wasser brodeln, aufschäumen und sich überschlagen.

Wie das Meer ist auch bei uns vieles in Bewegung, verändert sich, entwickelt seine eigene Dynamik. Einige Themen entstehen, bäumen sich auf und verschwinden wieder aus den Meldungen, dem Tagesgeschäft und dem eigenen Leben; andere spitzen sich zu, gefördert von der Informationsflut, die es schwer macht, den Überblick zu behalten und befeuert wird von Kommentaren. Vieles ist in den letzten Wochen und Monaten diskutiert worden und manchmal erscheint mir der Jahreswechsel als Brennglas missbraucht zu werden, schaut man doch auf das Jahr zurück und bewertet die Vielschichtigkeit des Gewesenen aufgrund der Ereignisse, die sich in einem zweistündigen Jahresrückblick mit Bildern und Interviews bei einer Talksendung gut darstellen lassen. Das „Wort des Jahres“, das ich selten im vergehenden Jahr verwendet habe, steht für mich ebenso wenig für das, was dieses Jahr ausgemacht hat, wie die großen Ereignisse. Es sind vielmehr der persönliche Bezug, die Begegnungen, die kleinen Momente und Erfahrungen, die geschehen sind und die selten zum Jahresende „abgeschlossen“ werden.

Das Meer bei Ostia - Kalender 2015 - © Thomas Michael Glaw

Das Meer bei Ostia – Kalender 2015 – © Thomas Michael Glaw

Das Leben entspricht eher dem Rhythmus des Meeres: Vieles, was wir tun und anpacken, orientiert sich nicht am Jahreswechsel; es entsteht irgendwann durch einen Gedanken, ein Gespräch, eine Begegnung, reagiert auf eine Veränderung und hat seinen eigenen Zeitplan.

Anders als in den letzten Jahren, in denen ich im Dezember Zeit zum Aufarbeiten der turbulenten Herbstmonate hatte, war dieser Advent voll mit Terminen, Gesprächen und entsprechenden Vorbereitungen. Wenn ich auf diesen Jahreswechsel blicke, sehe ich auf viele Ideen, die noch nicht fertig gedacht sind, einige Projekte, die am Entstehen sind, andere, die noch nicht abgeschlossen wurden, zum Teil auch im argen Verzug sind. In den letzten Arbeitstagen, in denen die Zeit am zerrinnen war, habe ich mich bei manchem gefragt, was von den To-Dos auf meiner Liste wirklich bis zum Jahresabschluss fertig sein muss, welche Protokolle und Emails, die mich viel Zeit und Mühe kosten, wirklich noch gelesen werden und was davon bis zum nächsten Jahr warten kann. Letztendlich habe ich die Zeit genutzt, denjenigen, mit denen ich viel zusammen gearbeitet habe, zu schreiben und etwas viel Wertvolleres geschaffen, als beschriebene Karten: einen Dank zum Abschluss dieses gemeinsamen Weges mit Aussicht auf ein Weitergehen.

Gedanken zum Kalenderblatt „Dezember“ unseres Jahreskalenders 2015

Gastbeitrag von Dorothea Elsner

 

Heilig Abend / Christmas Eve

Üblicherweise sieht man auf Beiträgen zu diesem Thema Kerzen, Sterne, Glühwein, lachende Menschen … meine Gedanken wanderten jedoch zu diesem Abend, als ich vor einigen Tagen in der Natur fotografierte.

Moos im Park von Schloss Linderhof © Thomas Michael Glaw

Moos im Park von Schloss Linderhof © Thomas Michael Glaw

Das frische grün, überzogen mit seinen frostigen Spitzen, ist für mich ein sehr schönes Symbol der Welt, in der wir leben. Grün ist nicht nur die Farbe der Hoffnung – zumindest in der Kultur, in der ich lebe; das Grün der Pflanzen steht auch für das Leben an sich. Ohne sie könnten wir auf diesem Planeten nicht existieren. Für mich stehen sie auch für die Schönheit, egal was wir Menschen tun, um sie zu vernichten. Auch die Eiskristalle, die sie überziehen, können sie nicht zerstören. So wie all jene, die Kinder auf den Straßen in Palästina und anderswo töten oder Herbergssuchende kalten Herzens weiterschicken, den ursprünglichen Plan nicht verhindern können.
Wer schon einmal mit dem Finger über frisches Moos gestrichen hat, wird die Sanftheit der kleinen Pflanze noch lange spüren; zudem wächst sie auf fast allem: selbst auf hartem Holz. So wie auch Liebe aus dem härtesten Herzen wachsen kann.

Eiskristalle - © Thomas Michael Glaw

Eiskristalle – © Thomas Michael Glaw

Was hat das nun mit dem Heiligen Abend zu tun?
Dieses Kind, um das sich diverse Religionen mit mehr als 2 Milliarden Gläubigen entwickelt haben, um das es mehr Mythen und Erzählungen gibt, als über irgendeinen anderen Menschen, hat versucht, uns alle vom unendlichen Wert der Liebe zu überzeugen.
In Zeiten, wenn viele Millionen Menschen auf diesem Planeten aus vielen verschiedenen Gründen auf der Flucht sind, in Zeiten wenn Christen, Muslime, Hindus und Juden einander töten, oft durch Staaten und Regierende legalisiert, mag man denken, das Projekt sei gescheitert.
Man vergisst dabei, dass der erwachsene Jesus, den wir Christen als Erlöser verehren, keine politische Revolution anzetteln wollte (das waren die Judäische Volksfront und die Volksfront von Judäa, oder 🙂 ? ), vielmehr hat er jeden und jede angesprochen, um sie von seiner Idee zu überzeugen. Keine Saat geht je vollständig auf, aber die Botschaft wird sich weiter verbreiten, wenn wir sie weiter tragen.
In diesem Dunst von Glühwein, unzähligen Farben und grauenvoller Dudelmusik sollten wir ein wenig mehr auf uns hören und wieder entdecken, was uns wirklich ausmacht: Liebe zum anderen und zu uns selbst. Ein Lächeln, eine zärtliche Berührung, eine helfende Hand ist mehr wert, als alles, was man mit noch so vielen Karten kaufen kann.
In diesem Sinn wünschen wir euch allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.

 

What kind of pictures would you expect from a text titled „Christmas Eve“? Candles? Tree decoration? Happy faces contemplating hot wine or Eggnog? My thoughts drifted towards that very evening about a week ago, while I was taking pictures in the countryside.
The fresh green colour of this moss symbolizes for me the world we live in. Not only symbolizes the colour green hope, at least in the culture I am living in, green plants embody life and the sheer beauty of it – No matter what men do, it will always remain beautiful. Even when it is covert by frosty crystals, it remains lovely. Cold as ice – which pictures does that evoke in you? Children shot on the street, homeless people turned away? Regardless what happens these days, it will not alter the original plan.
Have you ever touched fresh moss and felt the softness of this little plant? It can grow almost everywhere, even on hard wood. Just as love may grow, even in some, whose life has hardened his or her heart.

Frozen leaf in the park of Linderhof Palace © Thomas Michael Glaw

Frozen leaf in the park of Linderhof Palace © Thomas Michael Glaw

What has all that got to do with Christmas Eve?
This child, around which several religions with more than 2 billion faithful have grown, around which more myths and tales have been told than about any other man, has tried nothing, but to convince mankind of the immeasurable value of love.
In times, when millions of people are refugees, in times when Christians, Muslims, Hindus und Jews kill each other, often legalised by their rulers, you may think that the project failed.
Jesus however, worshipped as redeemer by us Christians, had never intended a political revolution (That was the Judean people’s front, Remember? Or was it the People’s Front of Judea? 🙂 ) Jesus approached everyone to convince them of his idea of love. No crop will ever come up completely, bus the message will continue spreading, if, and only if, we carry it.
In all this haze of mulled wine, horrible colours and even worse music, we might wish to listen a bit more to ourselves and to rediscover who we really are. It is loving others as well as loving ourselves that forms the core of us. A smile, a tender touch, a helping hand is worth much more, than any credit card may buy.
To all of you a very Merry Christmas.

O komm, O komm, Emanuel

Ein ungewöhnlicher Titel für einen Text, der sich im Prinzip mit Fotografie auseinandersetzt. Wohl war . Eigentlich wollte ich etwas Passendes zum zweiten Advent schreiben, aber all das, was im Moment auf diesem kleinen, blauen Ball inmitten des Universums passiert, lässt kaum Zeit und Muße aufkommen für eine Zeit des Nachdenkens und Wartens.

Baum - © Thomas Michael Glaw

Baum – © Thomas Michael Glaw

 

Die Unruhe der Zeit spiegelt sich für mich wider in den nackten Bäumen, die uns umgeben. Ihr Leben ist völlig konzentriert auf ihr Inneres, ihre Schönheit reduziert auf minimalistische äußere Strukturen.

In meinem Adventskalender fand ich heute morgen einen kleinen Brief, der mit einem Lied begann:

„O komm, o komm, Emanuel,

mach frei dein armes Israel!

In hartem Elend liegt es hier,

in Tränen seufzt es auf zu dir.

Bald kommt dein Heil: Emanuel!

Frohlockend jauchze, Israel!

Bäume - © Thomas Michael Glaw

Bäume – © Thomas Michael Glaw

In dem kleinen Brief las ich weiter:

Dieses Lied findet sich im alten Gotteslob im Eigenteil Münster. Seine Moll Stimmung und das musikalische Aufbäumen unterstreicht die Verzweiflung, die das Volk Israel ergriffen hat; und dennoch hoffen sie auf das baldige Kommen des Heiland – des Emanuel.

Als Kind und als Jugendliche habe ich dieses Lied zwar oft gesungen aber die Situation, die es beschreibt, blieb mir fremd. Ich sah es im Kontext auf das Warten auf Weihnachten, ein Lied des Wartens.

Heute in einer Zeit, in der sich tausende Menschen ohne eine Perspektive in ihrer Heimat auf den Weg machen, die alle Hoffnung, das es in ihrem Land besser werden kann, aufgegeben haben und selbst zu schwach, zu ängstlich oder klein sind, das Ruder herumzureißen, klingt das Lied fast wie: „den Kopf in den Sand stecken und auf ein Wunder hoffen.“

Baum - ¨ Thomas Michael Glaw

Baum – ¨ Thomas Michael Glaw

Es war dieser Moment, als mir das Bild der winterlichen Bäume in den Sinn kam. In ihnen steckt alles, was sich im Frühjahr wieder die Bahn brechen wird: Schönheit, Fruchtbarkeit … alles in allem ein kleines, großes Wunder.

Ich bin sicher, dass die Lösung all unserer Probleme auch schon in uns steckt; wie der Baum müssen aber auch wir erst durch den Winter kommen und zudem darauf achten, dass niemand unsere Bäume fällt, denn in den Wüsten, in denen radikale Religionen gedeihen, wachsen keine Bäume. Warten also auch wir auf Emanuel.

Danke Doro für deine Gedanken.