Vor zwei Wochen verschlug mich ein Fotoprojekt am 15. August nach Mailand. Ich war mir zwar der Tatsache bewusst, dass dieser Tag von den meisten Italienern, wenn irgendwie möglich, am Strand verbracht wird, ja dass es sogar Tagestouren mit Bussen gibt, in denen die Italiener mit Kind und Kegel für einen Tag zum Baden gekarrt werden. Letzteres wurde mir klar, als sich der Inhalt eines solchen Busses um neun Uhr abends über mich ergoss, der ich da schutzlos und völlig unbedarft auf der Suche nach einer Bar für einen Aperitif war. Nicht nur Kind und Kegel, vor allem auch jede Menge Sand, der dann beim aussteigen in alle Himmelsrichtungen verteilt wird.
Aber zurück zu Milano an Ferragosto. Wir waren eigentlich unterwegs um in Oberitalien Piazze zu fotografieren für ein Projekt, das sich fotografisch mit der Bedeutung jener traditionellen Plätze im städtischen Leben Italiens heute auseinandersetzt. Wir hatten schon Trento, Verona, Mantova und Bergamo besucht auf der Suche nach optisch Aussagekräftigem.
Unser erster Weg an diesem 15. August führte uns zur Piazza del Duomo, dem Domplatz. Ihn fanden wir, wie erwartet fest in der Hand der üblichen Touristen, in diesem Fall überwiegend aus dem arabischen Raum und aus China ( „i cinesi“, wie die Italiener immer mit leicht unheilsschwangerem Unterton sagten), leider stand die Sonne falsch und nachdem kosmologische Veränderungen nicht in der Macht der Fotografen liegen, beschlossen wir später wieder zu kommen.
Leichtes Erstaunen bemächtigte sich jedoch unser, als wir unsere Schritte ein wenig vom touristischen Trubel in Mailands Mitte weglenkten. Waren da zunächst noch vereinzelte Menschen auf den Straßen, so waren wir einige Minuten später die einzigen. Die Stadt, ganze Straßenzüge waren menschenleer. So unbewohnt hatten wir uns Mailand nicht vorgestellt an Ferragosto … auch wenn sich daraus fotografisch interessante Momente und Kleinodien ergaben, von denen ein paar hier zu sehen sind.
Man wird aber auch nachdenklich. Mich erinnerten die Bilder an einige Romane, die ich bevor mehr als 20 Jahren im Rahmen meiner Doktorarbeit las. Menschenleere Städte nach der großen Katastrophe. Es ist ein eigenartiges Gefühl Straßenzüge zu durchmessen ohne einem Menschen zu begegnen. Ich erinnerte mich an eine Stelle in Max Frischs „Homo Faber“, als Faber über die vermeintlich Einsamkeit des modernen Menschen, auch wenn er vom Trubel des Lebens umgeben ist, philosophiert. Das Gefühl völligen Einsamkeit wollte sich bei uns nicht einstellen, da zumindest ab und an eine bis auf den Fahrer Tram vorbei ratterte oder zwei gelangweilte Carabinieri die beiden merkwürdigen Gestalten mit ihren schweren Fototaschen aus ihren klimatisierten Alfa Romeos heraus begutachteten.
Manchmal wäre mir ein wenig mehr Einsamkeit, als ich in meinem bisweilen recht hektischen Leben bekomme, durchaus willkommen. Das Nachdenken fällt, zumindest mir, leichter, wenn ich mit meinen Gedanken allein bin. In einer Zeit, in der man fast zwanghaft alles in Gruppen tut, mag das merkwürdig erscheinen, doch denke ich, wir sollten die Einsamkeit ein wenig mehr suchen und uns ihr auch stellen. In mancher Hinsicht stellen wir uns damit auch uns selbst.
Nun ja, am Mailänder Hauptbahnhof, der Stazione Centrale, holte uns der Massenbetrieb wieder ein, das Tramezzino war eine willkommene Stärkung. Wer immer Italien, mal abgesehen von Tourismuszielen, jedoch menschenleer fotografieren will und dazu nicht unbedingt in der Früh um halb fünf auf der Piazza Venezia in Rom stehen möchte, dem sei Ferragosto, im wahrsten Sinne des Wortes, wärmstens empfohlen.