Ferragosto

Vor zwei Wochen verschlug mich ein Fotoprojekt am 15. August nach Mailand. Ich war mir zwar der Tatsache bewusst, dass dieser Tag von den meisten Italienern, wenn irgendwie möglich, am Strand verbracht wird, ja dass es sogar Tagestouren mit Bussen gibt, in denen die Italiener mit Kind und Kegel für einen Tag zum Baden gekarrt werden. Letzteres wurde mir klar, als sich der Inhalt eines solchen Busses um neun Uhr abends über mich ergoss, der ich da schutzlos und völlig unbedarft auf der Suche nach einer Bar für einen Aperitif war. Nicht nur Kind und Kegel, vor allem auch jede Menge Sand, der dann beim aussteigen in alle Himmelsrichtungen verteilt wird.

20130815-_DSC0646-3

Aber zurück zu Milano an Ferragosto. Wir waren eigentlich unterwegs um in Oberitalien Piazze zu fotografieren für ein Projekt, das sich fotografisch mit der Bedeutung jener traditionellen Plätze im städtischen Leben Italiens heute auseinandersetzt. Wir hatten schon Trento, Verona, Mantova und Bergamo besucht auf der Suche nach optisch Aussagekräftigem.

Unser erster Weg an diesem 15. August führte uns zur Piazza del Duomo, dem Domplatz. Ihn fanden wir, wie erwartet fest in der Hand der üblichen Touristen, in diesem Fall überwiegend aus dem arabischen Raum und aus China ( „i cinesi“, wie die Italiener immer mit leicht unheilsschwangerem Unterton sagten), leider stand die Sonne falsch und nachdem kosmologische Veränderungen nicht in der Macht der Fotografen liegen, beschlossen wir später wieder zu kommen.

20130815-_DSC0680-3

Leichtes Erstaunen bemächtigte sich jedoch unser, als wir unsere Schritte ein wenig vom touristischen Trubel in Mailands Mitte weglenkten. Waren da zunächst noch vereinzelte Menschen auf den Straßen, so waren wir einige Minuten später die einzigen. Die Stadt, ganze Straßenzüge waren menschenleer. So unbewohnt hatten wir uns Mailand nicht vorgestellt an Ferragosto … auch wenn sich daraus fotografisch interessante Momente und Kleinodien ergaben, von denen ein paar hier zu sehen sind.

20130815-_DSC0703-3

Man wird aber auch nachdenklich. Mich erinnerten die Bilder an einige Romane, die ich bevor mehr als 20 Jahren im Rahmen meiner Doktorarbeit las. Menschenleere Städte nach der großen Katastrophe. Es ist ein eigenartiges Gefühl Straßenzüge zu durchmessen ohne einem Menschen zu begegnen. Ich erinnerte mich an eine Stelle in Max Frischs „Homo Faber“, als Faber über die vermeintlich Einsamkeit des modernen Menschen, auch wenn er vom Trubel des Lebens umgeben ist, philosophiert. Das Gefühl völligen Einsamkeit wollte sich bei uns nicht einstellen, da zumindest ab und an eine bis auf den Fahrer Tram vorbei ratterte oder zwei gelangweilte Carabinieri die beiden merkwürdigen Gestalten mit ihren schweren Fototaschen aus ihren klimatisierten Alfa Romeos heraus begutachteten.

Manchmal wäre mir ein wenig mehr Einsamkeit, als ich in meinem bisweilen recht hektischen Leben bekomme, durchaus willkommen. Das Nachdenken fällt, zumindest mir, leichter, wenn ich mit meinen Gedanken allein bin. In einer Zeit, in der man fast zwanghaft alles in Gruppen tut, mag das merkwürdig erscheinen, doch denke ich, wir sollten die Einsamkeit ein wenig mehr suchen und uns ihr auch stellen. In mancher Hinsicht stellen wir uns damit auch uns selbst.

Nun ja, am Mailänder Hauptbahnhof, der Stazione Centrale, holte uns der Massenbetrieb wieder ein, das Tramezzino war eine willkommene Stärkung. Wer immer Italien, mal abgesehen von Tourismuszielen, jedoch menschenleer fotografieren will und dazu nicht unbedingt in der Früh um halb fünf auf der Piazza Venezia in Rom stehen möchte, dem sei Ferragosto, im wahrsten Sinne des Wortes, wärmstens empfohlen.

Burri

René Burri, Schweizer Fotograf, war auf so ziemlich allen Kriegsschauplätzen, von Suez bis hin zu Tienanmen – für mich persönlich ist auch Letzterer ein Kriegsschauplatz, auch wenn sich hier die Machthaber gegen das Volk wandten; das Volk, das ihnen angeblich die Macht gegeben hatte …. Volksrepublik China.

Aber zurück zu Burri. An der Piazza Triennale in Verona, genauer gesagt im Centro Internazionale di Fotografia Scavi Scaligeri, kann man noch bis zum 22. September eine fotografisch sehr interessante und recht spannend gehängte Retrospektive zum fotografischen Leben René Burris betrachten.

Burri in Verona 1

Burri in Verona 1

Burri hat nicht nur Kriege fotografiert. Wenn er es tat, so verlor er nie das Humane aus dem Blick. Es gibt quasi keine Bilder von ihm, die die Brutalität, verstümmelte Leichen, blutüberströmte Körper abbilden. Er ist kein Robert Capa. Man mag über die Aufgabe der Fotografie in der Dokumentation des menschlichen Alltags streiten, ich kann mich jedoch bisweilen des Eindruckes nicht erwehren, dass zumindest in der professionellen Berichterstattung nur noch das Erschreckende zählt. Komposition, Licht, der künstlerische Blick, gerade auch in der wahrhaft erschreckenden Umgebung, hat vollständig an Bedeutung verloren.

Burris Darstellung von Panzern in der Wüste, eines abgestützten russischen Hubschraubers, aber auch von Menschen in den diversen kriegerischen Konflikten in Indochina, sprechen stets die Sprache der Humanitas, wollen Schicksale erzählen und nicht mit Horror schnell Geld verdienen.

Burri in Verona 2

Burri in Verona 2

Natürlich ist das Fotografieren auf einer solchen Ausstellung verboten. Natürlich? Im MoMa in New York darf man. Ich fand es sehr spannend, Menschen bei ihrer Interaktionen mit Kunst zu beobachten. Und wenn jemand dabei mit dem *phone ein Bild abfotografiert? Und wenn schon! Die digitalen Abbilder so von so ziemlich allem, was Künstler je produziert haben, finden sich im Internet.

Nicht desto trotz: die hier publizierten Bilder sind illegal entstanden. Mit dem Handy. Horribile dictu:).

Ich wollte meiner Leserschaft aber ein paar grafische Impressionen dieser wirklich guten Ausstellung nicht vorenthalten, nur weil viele europäischen Museen und Kulturinstitute so borniert sind. Die besonders gesetzestreuen mögen den entsprechenden Teil des Bildschirms einfach zuhalten. 😉

Burri in Verona 3

Burri in Verona 3

Klaus Honnef verwendete für René Burri einmal den Begriff des „Autorenfotografen“. Er wollte damit wohl zum Ausdruck bringen, dass Burri zu den Fotografen gehört, die eine ganz eigene Sicht der Dinge haben und neben ihren „Brot und Butter“ Bildern, neben ihrem Handwerk, mit dem sie Geld verdienen müssen, auch Wahrheit und Kunst bildlich darzustellen versuchen.

In gewisser Hinsicht glaube ich, auch Burri ist auf der Suche nach einer Idee, einer Idee die die Welt ausmacht. Einer Idee, die auch Schönheit wiedergibt.

Heiß

gnadenlos heiß … ich musste an ein altes Lied von BAP denken, als ich heute Mittag im Ostpark meine Runden drehte.

Wenn man durch diesen Park läuft nimmt man die Realität des verdichteten Bauens gar nicht so war … am Horizont hüpfen die obersten Stockwerke der umgebenden Häuser, so wie an manchen Tagen vom sechsten Stock aus die Spitzen der Alpen zwischen den anderen Häusern sichtbar werden.

Mer kütt sich vüür, als ob mer en der Sauna sööß, singen BAP.

Nun so schlimm war es nicht, als ich mich zu einem Streifzug durch Teile von Neuperlach aufmachte. Die letzten Tage brachten immer wieder interessante Begegnungen, ich wollte einem meiner Sujets der nächsten zwei, drei Jahre auch mit der Kamera ein wenig näher kommen.

Neuperlach 1

Neuperlach 1

Neuperlach gilt in München immer noch als „Grattler Viertel“, sprich Präkariat, sprich da, wo anständige Leute nicht leben. Meine Erfahrungen der ersten zwei Wochen widersprechen dem. Ich habe es selten so leicht empfunden mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Nicht nur im Hausflur. Auch auf der Straße. Beim Laufen. Im Supermarkt. An der Bushaltestelle.

Oft ist ein Lächeln, der Beginn eines Gespräches.

Neuperlach 2

Neuperlach 2

Es macht mich nachdenklich, dass einfache, vielleicht sogar unverbindliche Freundlichkeit die Türe zu einem Gespräch öffnen kann. Wie arm ist doch unsere Welt an alltäglicher Freundlichkeit geworden. Vielleicht fällt es mir in der Stadt einfach mehr auf, denn auf dem Land ergibt sich die Möglichkeit zum Gespräch mit Fremden jenseits des eigenen Gartenzauns fast gar nicht.

Und doch ist es so einfach.

Nur mit dem mir gewohnten „Grüß Gott“ bin ich ein wenig zurückhaltend geworden. Oft scheint mir das unverbindliche „Hallo“ passender. Eigentlich schade, denn die meisten, die bei den Worten „Grüß Gott“, die mir quasi automatisch rausrutschen, zusammenzucken, glauben eigentlich auch an den einen Gott.

Christentum, Judentum und Islam sind nicht nur monotheistische Religionen, sie sehen auch alle Abraham als ihren Stammvater.

Neuperlach 3

Neuperlach 3

Ich musste in den letzten Wochen oft an Lessings Ringparabel denken.
Da steckt sicher mehr Wahrheit drin, als man als Zehntklässler erkennen kann; egal ob heute oder vor 40 Jahren.

Vielleicht sollte man ja auch mal wieder ins Theater gehen.
Zumindest wäre es dort sicher angenehm kühl 🙂