Verstörende Weihnachten

Es war ein merkwürdiger Advent. Irgendwie wollte sich keine Ruhe einstellen. Man mag sagen: selber schuld, wenn ihr eure Wochenenden so zubaut. Es war aber spannend, nach Freiburg zu fahren, es war schön, meine Mutter in München zu haben, und es war, wie immer, ein wirklich entspannendes Wochenende in Münster. Trotzdem schien die Zeit zu rasen, die berühmte „to do“ Liste nie kürzer zu werden. Auch der nachdenklichen Momente waren viele. Eine junge Frau starb in Freiburg, zwölf weitere Menschen in Berlin.

Die Isar in München © 2016 Thomas Michael Glaw

Die Isar in München © 2016 Thomas Michael Glaw

Ich habe dieses Bild der Isar in München für diesen heiligen Abend bewusst gewählt. Ich weiß, es sollten heute eigentlich Krippen oder Tannenzweige oder zumindest eine Kerze sein. Für mich ist es aber genau diese Weite, die uns Christus gebracht hat. Die Kirche hat diese Weite immer wieder versucht, einzuschränken. Sie hat versucht, aus einer Religion der Freiheit und der Liebe eine Religion der Verbote und der Drohungen zu konstruieren. Und doch ist es gerade diese Weite, die mich an Tagen wie heute glücklich macht.

In einem meiner Kurse kam es diese Woche, genauer gesagt am Tag des Anschlags in Berlin, zu einem kleinen Zusammenstoß. In diesem Seminar wurde schon immer politisch diskutiert, dieses mal ging mich jedoch eine Teilnehmerin dafür an, dass ich die Meinung vertrat, man müsse sich gegen den IS verteidigen. Ihrer Meinung nach könne könne man als Christ nicht zur Waffe greifen, das habe immer nur ins Verderben geführt. Ich versuchte, das Prinzip der wehrhaften Demokratie zu erklären. Als ein anderer Teilnehmer sie dann fragte, ob man dem IS Syrien einfach überlassen sollte, verließ sie wutschnaubend den Raum.

Ich glaube, dass wir das Recht und die Pflicht haben, die Freiheiten, die wir hier alle schätzen, zu verteidigen. Ich möchte weiterhin meine religiösen Feste feiern können, so wie ich möchte, dass unsere jüdischen Mitbürger das mit den ihren tun können, oder meine türkischen Nachbarn, hier in Neuperlach, mit ihren. Ich möchte auch weiterhin mit einem buddhistischen Freund über die vor und Nachteile unserer Religionen in einem Pariser Café diskutieren können, ohne in einem Kerker zu landen. Wenn Marc Lynch in seinem letzten Buch (The new Arab Wars) Recht hat, dann ist das Beste, was wir tun können, uns aus den Kriegen im mittleren Osten herauszuhalten – wir haben sowie keine Chance, dort irgendetwas zum Besseren zu wenden.

Wintertollwood - © Doro Lubahn 2016

Wintertollwood – © Doro Lubahn 2016

Dann gibt es aber noch die Menschen, denen sogar das letzte Hemd fehlt. Eine passive Rolle in einem bewaffneten Konflikt bedeutet nicht, dass wir uns der Verpflichtung zur humanitären Hilfe entziehen dürfen. Wir müssen helfen. Ich glaube nach wie vor, dass die Entscheidung Frau Merkels vielleicht unüberlegt, vielleicht zu schnell, aber dennoch mutig war. Wir müssen nur auch aus Fehlern lernen. Wir müssen alle (ja, auch die Polen, die Ungarn, die Tschechen und all die anderen Angsthasen) bereit sein, denen die Hand zu reichen, die unserer Hilfe benötigen. Wir sollten jedoch schauen, wer da kommt. Vorsicht ist kein Fremdenhass, auch wenn manche gerne dieses Gewürz in ihre politische Suppe geben. Heribert Prantl ist nicht notwendigerweise der Weisheit letzter Schluss.

Bleibt die Frage, was das alles mit Weihnachten zu tun hat.

Friede auf Erden … das wirft fast automatisch die Frage der Theodizee auf. Wie kann ein liebender Gott das alles zulassen? Oft wird es reduziert auf die Frage „Kann es Gott nach Auschwitz geben?“. Mich treibt diese Frage seit langem um. Es gab auch schon vor der Shoa unbegreifliche Grausamkeit und es gab sie danach. Warum lässt Gott das zu? Welchen Sinn können unsere Gebete noch haben? Im Judentum hält man Gottes Handeln von vorne herein für unbegreiflich – nun, das mag helfen. Wir jedoch gehen davon aus, dass Gott Mensch geworden ist, um uns zu erlösen.

Send me an Angel - © Thomas Michael Glaw

Send me an Angel – © Thomas Michael Glaw

Letztes Wochenende besuchte ich in der Münsteraner Überwasserkirche die Ausstellung „Send me an Angel“. Schick mir einen Engel. Engel sind Gottesboten. Oft verkünden sie große Freude. Wir feiern heute, dass uns der Heiland geboren wurde. Der Blick auf diesem Bild ist die Sicht durch zwei stilisierte Engelsflügel auf ein weißes Hemd, das von der Kirchendecke hängt, auf Kreuz und Altar. Es ist bisweilen sehr schwer, Menschen aus anderen Kulturkreisen zu erklären, warum Jesus sterben musste. Das Fest seiner Geburt, das wir heute begehen, geht dem Tag seines Todes im Kirchenjahr nur wenige Monate voraus. Hermann Hesse nannte es das Kainsmal, das alle Menschen Tragen. Wir sind mitten im Leben vom Tode umfangen.

Trotzdem werde ich nicht aufhören, zu glauben, zu hoffen und zu beten.

Trotzdem werde ich mich heute Abend freuen.

Trotzdem werde ich heute Abend singen.

Und trotzdem sollte wir auch weiterhin alles uns mögliche tun, um Leid zu lindern und Gottes Wegen hier auf Erden ein wenig näher zu kommen.

 

Euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, Merry Christmas, Feliz Navidad, Buon Natale und Joyeux Noel. Und, wenn auch verspätet, chanukka sameach.

Adventsblog

Es war ein der Jahreszeit entsprechendes Rehragout, zu dem ich Monsignore Wolfgang Sauer, seines Zeichens geistlicher Direktor des ifp, des Instituts zur Förderung des Publizistischen Nachwuchses, bei mir begrüßen durfte.  Wolfgang Sauer ist ein weitgereister Mann, mit dem man trefflich über Gott und die Welt plaudern kann – zudem weiß er gute Küche zu schätzen.

Bei unserem Gespräch kam auch sein Projekt eines Adventsblogs zur Sprache. Auf der Basis der alttestamentlichen Tageslesungen wollte er Interessierten an jedem Tag der Adventszeit – die im Jahr 2016 volle vier Wochen umfasst – einen Impuls mitgeben.

Ich war ehrlich gesagt skeptisch – das Alte Testament ist bisweilen für uns heutige ein wenig schwer verdaulich – und bot ihm an, durch Fotografien das Thema offener, vielleicht auch greifbarer zu machen. Mir fiel die Auswahl der Fotografien nicht leicht, denn die Texte der Lesungen, ebenso wie Monsignore Sauers Impulse, bewegten mich, brachten mich zum Nachdenken.

Einige der ausgewählten Bilder sehen Sie hier, den ganzen Blog können Sie ab dem 27. November  bei Wolfgang Sauer verfolgen.

 

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw