Wenn man in manchen Teilen Berlins spazieren geht, hat man den Eindruck, die Menschen haben viel zu verbergen. Man liest an den Klingelschildern gar nichts, oder bestenfalls Initialen. Was möchte man verbergen? Seine Identität? Oder ist es nur der Wunsch, prominenter, bekannter zu wirken, als man eigentlich ist? Wenn man in Charlottenburg spazieren geht, stehen neben Häusern, die offenbar den Weltkrieg überlebt haben, weiß gehaltene Burgen, deren langweilige Gärten vor allem durch Kameras beherrscht werden. In den Gärten der alten Häuser sitzen abends sogar Menschen an schön gedeckten Tischen, die miteinander sprechen, lachen, essen und trinken. Und am Klingelschild steht tatsächlich noch „Familie Schulz“.
Eine ähnliche Erfahrung machten wir am Samstag morgen, als wir an den Wannsee hinaus fuhren, um das Grab von Heinrich von Kleist zu besuchen. Es war schön, den kurzen Weg zu dieser Stätte zu gehen, denn wir waren allein. Als Schüler fuhr ich während einer Berlinreise allein mit der S Bahn nach „Wannsee“ hinaus, um an dieser Stelle zu stehen. Warum bin ich wieder dorthin gefahren?
In der vergangenen Woche las ich noch einmal die Autobiografie Marcel Reich Ranickis. Er erzählt, wie ihn ein polnischer Setzer lebend durch die Nazizeit gebracht hat, und er berichtet auch, wie eben jener Setzer von seiner Nacherzählung des Prinz von Homburg beeindruckt war. Er ging soweit zu sagen, dass dieser „Hamburg“ die Nazis nie toleriert hätte.
Der Prinz von Homburg hat mich schon als Schüler fasziniert. Ein Träumer, der zerrissen ist, zwischen Pflichten im ständischen Staat und dem, woran er meint zu glauben. Und am Ende war alles nur „Ein Traum, was sonst.“
Mein Deutschlehrer hat immer versucht, Heinrich von Kleist als eben diesem Träumer darzustellen – ich bin nicht dieser Meinung. Heinrich von Kleist mag Träume gehabt haben – wir haben alle Träume – vor allem aber wollte er Erfolg haben, und als er mit seinen vielen Plänen gescheitert war, nahm er sich am Wannsee, nachdem er seine Geliebte auf ihren Wunsch hin erschossen hatte, das Leben.
Erfolg, auch vermeintlicher, oder vorgegebener, treibt auch am Wannsee seine Blüten. Auch dort gibt es zahlreiche Häuser, die „S“, oder „FD“ beherbergen, vor allem aber werden immer mehr schöne, große Grundstücke, auf denen alten Häuser stehen mit neuer, vorgeblicher Modernität geschuldeten Gebäuden zugebaut, um dem aufstrebenden Wohlstand in Berlin eine neue Bleibe am Wannsee zu geben. Ebenso enttäuschend ist es, dass man nur sehr eingeschränkt am Seeufer selbst spazieren gehen kann, weil das Berliner Baurecht offenbar die quasi komplette Bebauung der Uferränder erlaubt. Einer von vielen Vorteilen des bayerischen Baurechts liegt darin, dass mit ganz wenigen Ausnahmen, die Seen öffentlich zugänglich sein müssen. Man kann also um fast alle großen Seen, den Starnberger-, Ammer-, oder Chiemsee, herumlaufen oder radeln.
Der Prinz von Homburg suchte keinen Erfolg. Letztendlich wollte er dem System dienen. So schildert es Kleist zumindest am Ende. Kann das ein Ziel sein? Muss man das System nicht eher permanent in Frage stellen, um es seinem wahrem Ziel zuzuführen?
Ich kann den Besuch an den Seen an einem Morgen trotzdem empfehlen. Die Ruhe im Wald und der Blick auf Seen und Kanäle – wo möglich – ist ein schöner Gegenentwurf zu Hektik, Menschenmassen und Baustellen im Zentrum der Stadt.