Promenade

Wenn ich das Wort Promenade höre, muss ich zunächst immer an einen miefigen Saal eines Kaffs in der Nähe von Heidelberg denken, wo meine erste Tanzstunde stattfand. Der Tanzlehrer pflegte es bei einem bestimmten Tanz, ich glaube es war der langsame Walzer, mit Stentorstimme zu proklamieren.

Die Promenade, über die ich heute schreibe, ist stiller und doch sehr lebendig. Um den alten Stadtkern von Münster, entlang des ehemaligen Befestigungswall, gibt es einen grünen Ring, der von vielen Menschen zum Spazierengehen oder auch als Radautobahn genutzt wird. Ich bin dort auch schon gelaufen, obwohl mir der geografisch näher gelegene Nordpark, der eigentlich Stadtpark Wienburg heißt,  lieber ist. Ich bin gerne allein, wenn ich laufe.

Promenade/Münster © 2017 Thomas Michael Glaw – mediathoughts.net

Wenn man an einem spätsommerlichen Sonntag die Promenade entlang läuft, fällt es leicht, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Man sieht unzählige Menschen, man hört Gesprächsfetzen, man fühlt sich an die großen Erzähler des 19. und 20 Jahrhunderts erinnert … Dickens, Mann, Proust. Wenn man flaniert, wie es einst hieß, wird man oft überholt und hat am Ende eines zweistündigen Spaziergangs unzählige Gesprächsfetzen im Kopf. Eine alte Frau, die einer desinteressierten Tochter ihr Leid klagt, junge Väter, die verzweifelt ihrem Bildungsauftrag nachzukommen versuchen („Das ist eine Buche“), schweigsame Alte am Stock, aber auch viele Menschen, die an diesem Tag eine wunderbare Heiterkeit verströmen.

Promenade/Münster © 2017 Thomas Michael Glaw – mediathoughts.net

Unser Gespräch drehte sich im Literatur, um das Wesen des Romans, um den Sinn der Fiktion. Persönlich glaube ich nicht an die politische Wirksamkeit fiktionaler Literatur. Literatur, die mit dem Impetus geschrieben wurde, die Welt zu verändern, ist sehr oft- auch wenn hochgelobt – nur mittelmäßig. Selbst Bert Brecht soll die gesellschaftliche Wirkung seiner Dramen bezweifelt haben. Das Maß, das an einen Roman angelegt werden sollte, ist, da bin ich mit Marcel Ranicki völlig einig,  ob er eine Geschichte erzählt oder nicht. Als Fotograf interessierte mich an diesem wunderbaren Sonntagvormittag allerdings am meisten das stetig wechselnde Licht und die sichtbar werden Details. Ein überfüllter Mülleimer kann ebenso Zeugnis ablegen von unserer verschwenderischen Zeit, wie einige Stühle in einem Garten von unserer Sehnsucht nach Muße zeugen.

Promenade/Münster © Thomas Michael Glaw – mediathoughts.net

Die kleine Säule brachte unser Gespräch zurück auf die Literatur des vergangenen Jahrhunderts. Der Zauberberg, die Buddenbrooks, die Suche nach der verlorenen Zeit … Wenn ich mir die moderne Literatur anschaue, frage ich mich, wer einmal die Geschichte unsere Zeit adäquat erzählen wird. So, dass Menschen in sie eintauchen, in ihr versinken wollen. Ein morgendlicher Spaziergang in Münster lässt zumindest ab und zu die Zeit, gefühlt, ein wenig langsamer verstreichen. Er unterhält sogar, wenn man versucht, die Geschichten, die die Menschen um einen herum erzählen, weiterzuspinnen.

Kölner Ruinen

Köln lag in der Tat in Ruinen, es ist bald siebzig Jahre her und wirklich ein trauriges Kapitel europäischer Geschichte. Ich schreibe bewusst europäischer Geschichte, denn das Bombardement deutscher Städte durch amerikanische und britische Bomber stellt für mich ein ungesühntes Kriegsverbrechen dar, das Denkmal für „Bomber Harris“ in London ist  ein Maß dafür, wie wenig sich eine Nation sich mit ihren eigenen Sünden identifiziert.

Aber wir wollen nicht in den Sünden der Vergangenheit bohren, sondern uns denen der Gegenwart zuwenden. Während meines heiß und innig geliebten jährlichen Sommeraufenthalts in Münster (ich mag die Stadt und die Menschen, mit denen ich dort zusammenlebe, wirklich – von Kreuzviertelfest ganz zu schweigen) sind wir wieder einmal für einen Tag nach Köln gefahren. Wer diesen Blog regelmäßig liest, dem brauche ich nicht zu erläutern, dass ich gerne in Köln bin. Auch wenn wenn die Stadt im Sommer voll von Touristen ist – welche deutsche Großstadt mit historischer Bedeutung ist das nicht ? Als Münchner ist man da durchaus ein gebranntes Kind – so hat Köln doch immer eine gewisse schnoddrige Lässigkeit, die ich unglaublich mag.

Konrad der Große – Köln – © 2017 Thomas Michael Glaw

Das eigentlich Ziel der Reise war ja auch – einmal abgesehen von einem großen Teller Dicke Bohnen mit Speck und zahlreichen Kölsch – der Besuch einer Ausstellung zu Konrad Adenauers Zeit als Kölner Oberbürgermeister zwischen 1917 und 1933 im Stadtmuseum, betitelt „Konrad der Große“. To cut a long story short: Der Besuch dieser Ausstellung war eine Enttäuschung. Man lernte nicht Konrad Adenauer und seine Arbeit kennen, das Museum bot eher eine kurze Kulturgeschichte der zwanziger Jahre in Deutschland, mit dem Fokus Köln. Das war durchaus nicht uninteressant, aber es hatte halt so gar nichts mit dem Titel der Ausstellung zu tun. Ganz ehrlich: Ich empfand das schon ein wenig als Etikettenschwindel.

Zumindest bekam man jedoch am Rand  mit, dass dieser Konrad Adenauer, den man aus den Geschichtsbüchern als hochbetagten Kanzler und Rosenzüchter in Erinnerung hat, in seiner Zeit als OB zumindest architektonisch der Moderne zugeneigt war. Ein Beitrag von Boris Profalla in der FAZ vom 6. August tat ein übriges. Wir machen uns also auf die Suche nach architektonischen Kleinodien in der Stadt Köln. Über das erste stolperten wir, kaum dass wir einen Parkplatz gefunden hatten. Es handelt sich um DAS alte Grand Hotel Kölns, das Dom Hotel.  Bis 2013 konnte man dort nicht nur übernachten; wenn man sich die Zimmerpreise nicht leisten konnte, so setzte man sich in die Bar, schlürfte einen Martini, summte „As times go by“ und sah den Passanten auf dem Rocalliplatz zu. Seit knapp vier Jahren ist das Hotel nun geschlossen und eingezäunt, ein Ende ist nicht abzusehen. Das ist eine der ersten Adressen in Köln, nebenbei bemerkt, gegenüber dem Dom, einen Steinwurf entfernt vom Museum Ludwig. Nein, ich kommentiere das jetzt nicht weiter, ich brauche keine Magengeschwüre.

Dom Hotel Köln – © 2017 Thomas Michael Glaw

Wenn man auf den Spuren des Architekten Wilhelm Riphahn Köln durchwandert, könnte man allerdings schon welche bekommen. Zu Adenauers Zeit als OB gehörte er zu dem DEN Architekten der jungen Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Kölner Oper gehört zu seien Bauwerken. Sie ist seit 2012 wegen Sanierung geschlossen, sollte 2015 wieder eröffnet werden, ist aber mittlerweile zum Kölner BER mutiert. Schade. Dieses, über einen zwei Meter hohen Bauzaun gemachte Bild, lässt die schlichte Eleganz der Moderne des Gebäudes nur erahnen.

Kölner Oper – © 2017 Thomas Michael Glaw

Mit der Bastei ist es ähnlich. In dem von Riphahn 1924 auf einem Wehrturm aufgesetzten Zeugnis der Moderne herrscht seit Jahren Grabessruhe. Einst ein Sternerestaurant, haben mögliche Betreiber längst vor den Auflagen der örtlichen Bürokratie kapituliert. Am Tag des Denkmals kann man es besichtigen oder aber während des Jahres für eine private Veranstaltung mieten. Sonst steht das Gebäude leer. Es ist zum Mäuse melken.

Bastei Köln – © 2017 Thomas Michael Glaw

Ich bin wirklich gerne in Köln. Vielleicht schaffe ich es irgendwann sogar noch, dort ein Büro einzurichten, damit ich die Reisen von der Steuer absetzten kann. Aber der Kölner Klüngel nervt, denn er bekommt nichts gebacken. Wie sagt der Kölner: „Et hätt noch emmer joot jejange. („Es ist bisher noch immer gut gegangen.“). Tretet doch mal eure jetzige Oberbürgermeisterin in den Allerwertesten, liebe Kölner 🙂