Kaum sichtbar sind die Wellen am Steg des Lido di Ostia; die Wasseroberfläche schein sich kaum zu bewegen. Umso überraschter war das Bild, das sich mir beim Blick auf den Grund bot: die sanfte und doch stetig gleiche Bewegung hatte ein deutliches Muster auf dem sandigen Meeresboden hinterlassen. Ein natürliches aber vergängliches Kunstwerk, den Veränderungen der Strömungen ausgesetzt. Die Leichtigkeit, wie die Natur etwas schafft und verändert, fasziniert mich. Nichts ist lange geplant oder wird jemals fertig; sie ändert sich aufgrund der aktuellen Gegebenheiten, passt sich den Rahmenbedingungen und Widerstände an und wandelt sich; es gibt keine allumfassenden Planungen, keine Kick-off-Events und dann lange, manchmal endlos dauernde Umsetzungsphasen, kein Festhalten an Strukturen und gewohnten Abläufen. Gerade das Wasser – auf der Suche nach dem Weg des geringsten Widerstands, jede neue Chance nutzend – besitzt eine unglaubliche Flexibilität.
Flexibel sein, den Moment nutzen, Chancen erkennen – damit scheinen wir Menschen uns – besonders hier in Deutschland – eher schwer zu tun. Wir sind Meister im Planen, Organisieren, in Zuverlässigkeit und dem Schaffen von Strukturen, im beruflichen wie im privaten Umfeld. Bevor wir etwas Neues Anfangen, versuchen wir, möglichst alle Risiken auszuschließen, und geht doch etwas schief, fragen wir nach dem Schuldigen, versuchen, das Problem an einen anderen loszuwerden.
Gerade jetzt in der Urlaubszeit, wo ich in München und bei eigenen Reisen auf Menschen unterschiedlichster Länder treffe, ist es faszinierend zu sehen, wie anders dort mit dem Unvorhergesehenen umgegangen wird, wie dort Probleme behandelt und Hürden genommen werden: Südamerikaner, die am Flughafen in der Gepäckhalle Karten spielen, während sie auf das Gepäck warten, das dem Gepäckband am Madrider Flughafen zum Opfer gefallen war; Restaurantköche, die ausgegangene Zutaten kurzerhand im benachbarten Supermarkt besorgen anstelle das Gericht von der Karte zu streichen; der Händler, der seinen Kollegen nebenan nach Wechselgeld fragt, da ich nur einen 20 Euroschein dabei habe und er nicht herausgeben kann; eine Selbstverständlichkeit? Leider nicht, an den Obstständen in München sollte man besser ausreichend Kleingeld dabei haben, sonst muss man selbst eine Wechselmöglichkeit zu suchen.
Wenn Deutsche reisen, studieren sie oft schon Monate vorher Reiseführer und Prospekte, um sich ein Bild vom Ziel zu machen – und schaffen eine Erwartungshaltung, wie es dort auszusehen habe. Weicht die Realität von ihren Erwartungen ab, versuchen sie mit Schadensersatzforderungen, den Verlust der Urlaubserholung auszugleichen. Das ist sicher an der einen oder anderen Stelle gerechtfertigt, da die Schilderung doch zu blumig oder die Fotos retuschiert wurden – aber oft ist diese Enttäuschung die Reaktion auf einen natürlichen Wandel, geänderte Bedingungen vor Ort und einem falschen Bild, was aus unserem lokalen Denken heraus entstanden ist.
Mir gefällt es, überrascht zu werden, Neues zu entdecken und ich merke, es gelingt mir um so besser, je weniger ich ein durchgestyltes Programm habe, da ich sonst versuche, meine Erwartungen bestätigt zu bekommen und einem Anspruch gerecht zu werden. Ich freue mich auf die Begegnungen und Erfahrungen mit den fremden Kulturen in den nächsten Wochen, besonders auch auf Überraschendes an den bekannten Orten.
Gastbeitrag von Dorothea Elsner zum Kalenderblatt „Juli“ unseres Jahreskalenders „Forma dell Acqua“