Tsuki (Haiku 6)

Tsuki – der Mond – ist in der japanischen Dichtung und Mythologie fast wichtiger als die Sonne – auch wenn Japan als das „Land der aufgehenden Sonne“ gilt und sich die Japaner unter dem besonderen Schutz der Sonnengöttin Amaterasu stehend sehen.

Als ich vor einigen Tagen an einem kalten, aber wunderbar klaren Morgen, der endlich einen etwas wärmeren Tag versprach, mit meiner alten Nikon im Garten stand um ein paar Eindrücke einzufangen, fielen mir die vielen Mondgeschichten meiner Japanischlehrerin ein.

Es ist viele Jahre her, dass ich mich intensiver mit der Sprache befasste, die Faszination für Japan wie auch für den Mond blieben mir jedoch – ich habe ihn in unzähligen Ländern viele Male fotografiert. In Japan unterstellt man dem Mond eine besondere Beziehung zu den Liebenden. Schon in dem berühmten „Kopfkissenbuch“ (makura no soshi) der Hofdame Sei Shonagon, finden sich Zeilen darüber, wie gut ihr der Mond gefalle, besonders am frühen Morgen, oder wenn er hinter dem Gipfel des östlichen Berges seinen ersten silbernen Strich zeige. Es muss der morgen nach einer wunderbaren Nacht gewesen sein … Er hilft auch zwei Liebenden, die sich an verschiedenen Orten befinden: beide entdecken denselben silbernen Mond am Himmel, wenn sie nach oben blicken und der Mond lässt sie aneinander denken.

Mir fiel spontan ein Haiku ein, der sogar auf Anhieb die richtige Silbenzahl enthielt – oft gar nicht so einfach, zumal die beschränkte Anzahl der Silben pro Zeile im Deutschen bei weitem nicht so elegant ist wie auf Japanisch.

Früher Mond wachend
über allen Liebenden
vom Tage verdrängt

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Tsuki – Mond

Das Bild des frühen Mondes, der noch den Morgenhimmel dominiert, vermag einem jedoch auch die eigene Einsamkeit nur umso deutlicher vor Augen zu führen. Indem er Ereignisse aus glücklicheren Zeiten wieder in Erinnerung ruft, ist es oft ein Gefühl von Verlassenheit, das sich in der Gegenwart einstellt. Auch hierfür finden sich Beispiele in der japanischen Literatur. Zu den bekanntesten dürfte wohl die Erzählung vom Prinzen Genji (Genji monogatari) von Shikibus Murasaki gehören. Der Prinz erblickt im Exil, am Strand stehend, den Mond und wird von den Erinnerungen an die Hauptstadt überwältigt.

Glaubt man den Worten Yoshida Kenkos, so vermag der Mond in jeder Lage Trost zu spenden – der Anblick der silbernen Scheibe hat, zumindest für mich, tatsächlich stets etwas Beruhigendes.

So auch an diesem Morgen, der in einen hellen, frühlingshaften Tag mündete.