Roma Capoccia

„Quanto sei bella Roma quand’è sera” singt Antonello Venditti in einem Lied, das mit diesem Text den Titel gemein hat. „Quanto sei grande Roma quand’è tramonto.“

Neben der gleißenden Sonne der letzten Tage gab es in der Tat einige schöne Abende, ja sogar Sonnenunter- und Sonnenaufgänge. Einer der letzteren, während mein Taxi kurz vor halb sechs Uhr morgens mit 85 über eine Tiberbrücke donnerte, wird mir besonders im Gedächtnis bleiben.

„Mir ist das königliche Rom zu groß.“ schrieb Horaz in seiner VII. Epistel.

Mir auch.

Centrale Montemartini - Roma

Centrale Montemartini – Roma

Rom ist der verzweifelte Versuch Einzelner Ästhetik zu schaffen, die jedoch am Unwillen der Masse scheitert. Schönheit erweist sich stets im einfachen. Die Linienführung einer einzelnen Statue im Garten der Villa Borghese ist schön, der Ausdruck im Gesicht des einen oder anderen Heiligen, das Gesicht Christi am Kreuz einer Kapelle in Santa Maria Maggiore – er sieht dort aus, wie ein junger Palästinenser, dem das Leid über ein zerbombtes Haus oder ein getötetes Kind ins Gesicht geschrieben ist.

Garten der Villa Borghese - Roma

Garten der Villa Borghese – Roma

In der Centrale Montemartini, einem ehemaligen Elektrizitätswerk, hat man antike Statuen der Technik des späten neunzehnten Jahrhunderts gegenüber gestellt. Ich habe beides schon oft fotografiert: die Technik des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, an der mich das Analoge fasziniert, ebenso wie antike Statuen, am liebsten aus der vorklassischen Periode, deren Linienführung in unterschiedlichen Lichtverhältnissen mich noch lange beschäftigen wird.

Der Versuch in Montemartini ist jedoch misslungen. Abgesehen von wenigen Szenen, in denen man mit Hilfe von Licht und Perspektive gestalten konnte, verkam die Technik zur Staffage, zum Bühnenbild, der die Schönheit der Skulpturen eher ver- als aufdeckte.

Centrale Montemartini - Roma

Centrale Montemartini – Roma

Mir kam es dieses Mal so vor, als wäre Rom für die anwesenden Touristen und Jugendlichen auch nur ein Bühnenbild. Touristen, die alles und nichts, vor allem sich selbst fotografieren und doch nicht abbilden.

Schemen.

Schemenhaft blieb auch Rom dieses Mal
Eine leere Kulisse.
ausgefüllt mit Masken hetzender Fremden

Roma capoccia
geschlagene, lebendige
Stadt voll von Atem

Benn

Doch, doch, stimmt schon. Nicht Ben, als Kurzform von Benjamin, sondern Benn, Gottfried Benn. Als ich mein Blog über die grauen Zeiten schrieb, war er mir sehr präsent, ich habe viele seiner Gedichte wieder gelesen. Ich denke den meisten wird zumindest seine „Krebsbaracke“ noch im Gedächtnis sein. Meist bekommen es die Schüler, wie so vieles im Schulalltag, viel zu früh um die Ohren gehauen, als dass sich ein tiefes Verständnis für den Inhalt des Gedichtes oder gar die psychische Verfasstheit des Autors einstellen könnte.

Warum gerade heute Benn, nachdem, zumindest hier in in Deutschlands Süden, fast die ganze Woche die Sonne schien?

Spring Flower 2

Spring Flower 2

In der FAZ fand ich diese Woche einen Artikel unter dem Titel „Mein schäumender Lebensbecher“; zufällig war ein frühes Liebesgedicht Benns aufgetaucht, dass ich dem Verfasser der Krebsbaracke nie zugetraut hätte:

Meines heißen, wilden Herzens
Sünd‘ u. Sehnsucht wollt‘ ich nun
Dir in Deine Hände geben:
Nimm es hin u. lass es ruhen.

Ich möchte es nicht weiter zitieren. Wen es interessiert, der kann es leicht googeln – und ich bin mir der Copyright Implikationen heutzutage nicht mehr so sicher. Das Original wurde am 16. April bei Stargardt in Berlin versteigert.

Liebe, und sei sie noch so überschäumend, beinhaltet immer eine ungeheure Kraft. Sie treibt einen an … sie bringt einen zum Blühen .. ein wenig wie es die Sonne der letzten Tage mit den Pflanzen tat, die nur darauf gewartet zu haben schienen.

Spring Flower 1

Spring Flower 1

Die Sonne.
Einfach nur auf der Haut zu spüren.

Ich habe mich diese Woche auch mit der Übersetzung einiger Gedichte von Philip Larkin befasst; so kommt dann doch der Schatten wieder zurück ins Leben. Eines davon, „No Road“, hat mich zu einem Haiku inspiriert:

Wege leer, Büsche wachsend.
Türen vermauert.
Und doch fliegt das Laub herum.

Es gibt immer Hoffnung.
Auf ein morgen.
Auf die Sonne.

Enjoy 🙂

Tsuki (Haiku 6)

Tsuki – der Mond – ist in der japanischen Dichtung und Mythologie fast wichtiger als die Sonne – auch wenn Japan als das „Land der aufgehenden Sonne“ gilt und sich die Japaner unter dem besonderen Schutz der Sonnengöttin Amaterasu stehend sehen.

Als ich vor einigen Tagen an einem kalten, aber wunderbar klaren Morgen, der endlich einen etwas wärmeren Tag versprach, mit meiner alten Nikon im Garten stand um ein paar Eindrücke einzufangen, fielen mir die vielen Mondgeschichten meiner Japanischlehrerin ein.

Es ist viele Jahre her, dass ich mich intensiver mit der Sprache befasste, die Faszination für Japan wie auch für den Mond blieben mir jedoch – ich habe ihn in unzähligen Ländern viele Male fotografiert. In Japan unterstellt man dem Mond eine besondere Beziehung zu den Liebenden. Schon in dem berühmten „Kopfkissenbuch“ (makura no soshi) der Hofdame Sei Shonagon, finden sich Zeilen darüber, wie gut ihr der Mond gefalle, besonders am frühen Morgen, oder wenn er hinter dem Gipfel des östlichen Berges seinen ersten silbernen Strich zeige. Es muss der morgen nach einer wunderbaren Nacht gewesen sein … Er hilft auch zwei Liebenden, die sich an verschiedenen Orten befinden: beide entdecken denselben silbernen Mond am Himmel, wenn sie nach oben blicken und der Mond lässt sie aneinander denken.

Mir fiel spontan ein Haiku ein, der sogar auf Anhieb die richtige Silbenzahl enthielt – oft gar nicht so einfach, zumal die beschränkte Anzahl der Silben pro Zeile im Deutschen bei weitem nicht so elegant ist wie auf Japanisch.

Früher Mond wachend
über allen Liebenden
vom Tage verdrängt

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Tsuki – Mond

Das Bild des frühen Mondes, der noch den Morgenhimmel dominiert, vermag einem jedoch auch die eigene Einsamkeit nur umso deutlicher vor Augen zu führen. Indem er Ereignisse aus glücklicheren Zeiten wieder in Erinnerung ruft, ist es oft ein Gefühl von Verlassenheit, das sich in der Gegenwart einstellt. Auch hierfür finden sich Beispiele in der japanischen Literatur. Zu den bekanntesten dürfte wohl die Erzählung vom Prinzen Genji (Genji monogatari) von Shikibus Murasaki gehören. Der Prinz erblickt im Exil, am Strand stehend, den Mond und wird von den Erinnerungen an die Hauptstadt überwältigt.

Glaubt man den Worten Yoshida Kenkos, so vermag der Mond in jeder Lage Trost zu spenden – der Anblick der silbernen Scheibe hat, zumindest für mich, tatsächlich stets etwas Beruhigendes.

So auch an diesem Morgen, der in einen hellen, frühlingshaften Tag mündete.

Schatten

sagen zwar nicht alles, aber sie geben einem Bild Tiefe, pflegte mein alter Lehrer zu sagen. Manchmal bewirken Schatten sogar den Unterschied zwischen einem langweiligen Bild und einer Darstellung, die zum Nachdenken einlädt.

Schattenwerfendes

gefangenes Licht

Entgegenstrebend.

Lebendige Schatten

Mich befriedigt dieses Bild nicht völlig, weil mich die Schatten im Bokeh rechts stören – nach der japanischen Ästhetik macht es gerade dieser Fehler perfekt. Mich hatte allerdings der Schattenwurf der Blütenblätter zu der Aufnahme angeregt.

Jeder Anfänger konzentriert sich beim Photographieren zu sehr auf das Offensichtliche und übersieht das Nebensächliche. Mein schönster Fehler war vor vielen, vielen Jahren ein wunderschönes Portrait, nur dass der Porträtierten ein Ast aus dem linken Ohr wuchs …

Manchmal sind es aber gerade die Nebeneffekte, die ein Bild besonders machen – so die Schatten der Blütenblätter in dieser Aufnahme. Ich weiß nicht, wer meiner geschätzten LeserInnen Tanizakis Jun’ichiros „Lob des Schattens“ kennt und eigentlich ist diese Aufnahme viel zu hell um der japanischen Ästhetik zu genügen; trotzdem glaube ich, dass der Meister sie zu schätzen wüsste …