Zwei Welten

Kauenkörbe in der Kokerei Hansa

Kauenkörbe in der Kokerei Hansa

Leer, angestaubt hängen sie unter der Decke, die unzähligen Kauekörbe im Umkleideraum der Kokerei Hansa. Bis 1992 herrschte hier reger Betrieb:
Männer in Straßenkleidung kamen, ließen ihren Kauekorb von der Decke und verwandelten sich in Bergleute, bereit, die ihre Schicht in der Kokerei oder unter Tage anzutreten.
Bergleute mit schwarzen Gesichtern und Händen kamen, schrubbten sich in den Duschen den Staub und Dreck von der Haut, was nie ganz gelang, tauschten die Arbeitskleidung gegen die normale Kleidung, zogen ihre Kauekörbe mit der Arbeitskleidung unter die Decke und beendeten ihre Schicht.
Besucht man heute die Kokerei Hansa, seit gut 15 Jahren eines der Industriedenkmäler in Dortmund, kann man sich trotz guter Dokumentation den Betrieb von damals nur schwer vorstellen. Es ist still geworden auf dem Gelände, man hört Vögel zwitschern und auch der Kohlestaub hat sich gelegt. Die Gesichter von Bergleuten, die ein Leben in zwei Welten führten, sind verschwunden. Welche Gedanken mögen ihnen gekommen sein, wenn sie die Kauekörbe unter die Decke gezogen haben? Angst vor möglichen Arbeitsunfällen, Gedanken an Frau, Kinder, Kumpel? Freude, heil die Schicht überstanden zu haben? Waren sie stolz auf ihre Arbeit oder nur froh, Geld mit nach Hause zu bringen? Was waren ihre Wünsche und Träume? Genug Geld, um mit der Familie gut zu leben? Ein Moped, Auto oder einen Fernseher? Ein kleines eigenes Haus mit Garten? Ein Urlaub an der Nordsee?
Die Wünsche werden sich mit der Zeit verändert haben, die Modernisierung machte auch vor dem Ruhrgebiet nicht halt, der Farbfernseher löste das Schwarz-Weiß-Fernsehen ab, neue Freizeitbeschäftigungen hielten Einzug und boten Abwechslung zu Fußball und dem Männer-Gesangverein. Aber auch wenn mehr auf die Sicherheit wurde unter Tage geachtet wurde, das Hochziehen des Kauekorbes war für den Bergleute die letzte Handlung, bevor er in die andere Welt eintauchte mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten

Gastbeitrag von Dorothea Elsner zum Februarblatt unseres Jahreskalenders 2016. Mehr dazu unter www.thomasmichaelglaw.com

Einstieg unter Tage

Das Ruhrgebiet – eine Legende, Vergangenheit, fast vergessen..
In den letzten Jahren waren wir mehrfach in diesem ehemaligen Industriezentrum Deutschlands unterwegs, auf den Spuren der Kohle, des Bergbaus und der Gewinnung von Eisen und Stahl.

Zeche Zollern - © 2016 Thomas Michael Glaw

Zeche Zollern – © 2016 Thomas Michael Glaw

Vorhängeschlösser – eine ganze Reihe zieren dieses Bild. Sie gehören zu den ersten Dingen, die man bei der Besichtigung der Zeche Zollern sieht: In der Waschkaue, den Räumen, in denen sich die Bergleute umzogen, bevor sie unter Tage fuhren, wurde die normale Kleidung gegen die Bergmannskluft getauscht und in Körbe gesteckt, die unter die Decke gezogen wurden. Mit dem Schloss, zu dem nur der Bergmann selbst Schlüssel besaß, wurde das Hab und Gut gesichert.
Es ist ein eigenartiges Gefühl, als Enkelin eines Bergmanns auf diese Vorhängeschlösser zu schauen: es gibt keine Spinte oder Schränke, der private Platz, der den Bergleuten damals an ihrem Platz zugeteilt wurde, beschränkt sich auf den einen Korb, so groß wie ein mittelgroßer Topf mit ein paar Haken, der Kette, an dem er hängt und das Schloss. Die Stechkarte, die in einen Kasten gesteckt wurde, zeigte, wer gerade alles tief unter der Erde arbeitete, und wessen Familien zu informieren waren, sollte es einen Zwischenfall geben. Ein einfaches, aber auch notwendiges Prinzip, betete doch jede Familie darum, dass der Ehemann und Vater nach der Schicht heil nach Hause kam. Nicht immer wurden diese Gebete erhört, es gab immer wieder Unfälle, die eine Familie vergeblich auf die Rückkehr warten ließ.
Besucht man heute diese Denkmäler der Industriekultur, kann man, trotz guter Darstellungen, Erklärungen und der Möglichkeit, viele Orte Begehen und Begreifen zu können, sich die damalige Situation nur schwer vorstellen. Heute, wo Arbeitsplätze auch gesundheitlich so sicher wie möglich sind, so dass wir es uns leisten, nicht nur den Betriebsunfall sondern alle möglichen Eventualitäten abzusichern, ist diese Angst der Menschen damals unvorstellbar.
Nein, es waren andere Zeiten. Ich lade Sie ein, sich eines der Vorhängeschlösser auszusuchen und in den nächsten Monaten auf eine Entdeckungsreise in eine fast vergessene Gegend mitzugehen, die vor den Toren meiner Heimat liegt.

Gastbeitrag von Dorothea Elsner zu unserem Jahreskalender 2016 : Nahaufnahme Ruhrgebiet – Analoge Industrie

Pottgedanken

Grünes Ruhrgebiet - Copyright Thomas Michael Glaw

Grünes Ruhrgebiet – Copyright Thomas Michael Glaw

Klar, der Titel lässt schon erahnen worum es hier geht, aber mal ehrlich: hätten Sie beim Anblick dieses Bildes an das Ruhrgebiet gedacht? An Kohle, Stahl und Staub? Also, ich nicht. Das ist übrigens nicht irgendwo aufgenommen, sondern praktisch noch in Dortmund, in der Nähe der alten Zeche Gneisenau. Der Anblick eines Altarbildes in der Dortmunder Probsteikirche, das wohl die älteste Darstellung Dortmunds aus dem späten Mittelalter enthält, machte mir klar, wie sehr unser Bild des „Potts“ vom 19. und 20. Jahrhundert geprägt ist – eine Konsequenz der Industrialisierung.

In den letzten zwei Jahren bin ich einige Male durchs Ruhrgebiet gereist, um Industriedenkmäler bzw. verbliebene Einrichtungen und Gebäude dessen, was ich Analoge Industrie nenne, zu fotografieren. Auf Grund beruflicher Termine und einem geplanten Besuch der Kokerei Hansa blieb ich dieses Mal zwei Tage in Dortmund. Was macht das besondere dieser Stadt aus? Auch hier sagen Bilder mehr als Worte:

Dortmund zwischen BVB und Currywurst - Copyright Thomas Michael Glaw

Dortmund zwischen BVB und Currywurst – Copyright Thomas Michael Glaw

Beim Gang durch das schwarz – gelbe Dortmund begann ich, die von mir oft belächelte „Spinnerei“ meines alten Freundes und Kollegen Achim für „seinen“ BVB ein wenig besser zu verstehen. Borussia scheint in Dortmund und für Dortmund weit mehr zu sein als nur ein Fussballclub – es ist ein Lebensgefühl. Mich haben die bisweilen in München aufblitzenden Bayern Trikots oder – je nach Wetterlage – Schals, auch immer amüsiert, aber in Dortmund kann man keine 20 Meter gehen, ohne über ein schwarz – gelbes Emblem zu stolpern. Man lebt seinen BVB …

Im Stadtkern von Dortmund fallen, ähnlich wie in Köln, die Bausünden der Nachkriegszeit auf – hier allerdings deutlich schlimmer. Straßen folgen zum Teil nicht ihrem ursprünglichen Weg, Sichtachsen wurden ignoriert, Gebäude in unmittelbarer Nähe zueinander errichtet, deren Linienführung und Ausgestaltung Kopfschmerzen verursachen.

Wie auch in anderen Städten mit historisch gewachsenem Stadtkern, so produzieren auch hier die überbordenden Lichtreklamen der Geschäfte, die um die Aufmerksamkeit potentiellen Kunden buhlen, einen üblen Brei aus Formen und Farben. Schade, dass man hier nicht zumindest ein wenig ordnend eingreift – die Auswirkung der Ästhetik auch auf das Kaufverhalten wird sehr unterschätzt.

Kokerei Hansa/Gasturbinenhalle - Copyright Thomas Michael Glaw

Kokerei Hansa/Gasturbinenhalle – Copyright Thomas Michael Glaw

 

Die überwiegend älteren oder in fremden Zungen sprechenden Menschen, die die Innenstadt bevölkern, schien das allerdings nicht zu stören; man ist entspannt in Dortmund – freundlich, umgänglich, immer zu einem Späßchen bereit. Letztere Beobachtung gilt übrigens auch für die Spezies Kellner, was einen grantl-geschädigten Münchner umso mehr erfreut.

Das, was auf den Tisch des Hauses kam, tat es allerdings weniger. Selten habe ich so viel Fettiges und soviel Fertigpanade garniert mit Tiefkühlprodukten, wohlgemerkt zu gehobenen Preisen,  gesehen. Angeblich soll es irgendwo einen guten Italiener geben, aber wir wollten ja etwas typisches essen. Ich weiß, Freund Tobias stellte dieselbe Frage: Was bitte ist typisch für Dortmund.

Also, wenn Sie mich fragen: der Fettgeruch an jeder zweiten Ecke, der nichts Gutes verheißt, oft vermischt mit dem Duft von Currypulver. Aber da ich es mir ja nicht endgültig mit den Dortmundern verderben will, schweige ich dazu jetzt lieber.

Zur Ehrenrettung des Stadtbildes muss allerdings hinzugefügt werden: es gibt durchaus interessante Elemente moderner Architektur, ebenso wie beeindruckende sakrale Räume, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs entstanden sind.

Orchesterzentrum Dortmund - Copyright Thomas Michael Glaw

Orchesterzentrum Dortmund – Copyright Thomas Michael Glaw

 

Und was das Essen angeht: die Fortsetzung der Reise durchs Sauerland nach Köln bewies, das Pampe auf dem Teller kein Dortmunder Privileg ist.

Grazie Bepi per un buon cena a Colonia 🙂

Mechanisch

Ein Freund von mir befasst sich in seiner knapp bemessenen Freizeit mit mechanischen Uhren. Das Wissen dazu hat er sich selbst aus spanischen und englischen Handbüchern beigebracht. Er kann zauberhafte Geschichten über diese kleinen Wunderwerke der Technik erzählen.

Andere Freunde können Tage, ja Wochen über irgendwelchen vier, sechs, acht oder mehr Zylinder Motoren aus den dreißiger oder vierziger Jahren verbringen. Auch hier: reine Mechanik. Klar spielte Elektrik auch eine gewisse Rolle, aber was bewirkt die Faszination des Mechanischen?

Zeche Zollern - Kauen

Zeche Zollern – Kauen

Die meisten meiner Freunde sind zwischen vierzig und fünfzig, stehen mit beiden Beinen im Leben des einundzwanzigsten Jahrhunderts … und sind doch fasziniert von der Technik des zwanzigsten, wenn nicht des neunzehnten.

Ist es die Tatsache, dass sich reine Mechanik leichter nachvollziehen lässt, als all das, was sich im allerkleinsten, sei es in Kybernetik, Physik, Mikrobiologie oder Genetik … die Aufzählung ließe sich fortsetzen, abspielt?

Zeche Zollern - Kauen

Zeche Zollern – Kauen

Ich gebe gerne zu, dass auch ich bei den modernen Wissenschaften zwischen Faszination und Erschrecken vor der Komplexität schwanke. Vor einigen Jahren hatte ich „Molecular Microbiology of the Gene“ mit in einen Griechenlandurlaub genommen, in der Hoffnung, es „auf die Schnelle“ einmal durchzulesen. No such thing. Die Details dieser Wissenschaft sind phänomenal und machen es einem, wenn auch durchaus wissenschaftlich vorgebildeten, Außenseiter wirklich schwer, Zusammenhänge zu behalten. Es ist gar nicht einmal das Verstehen, es ist das Behalten, das erklären können.

All das war zugegebenermaßen im mechanischen Zeitalter einfacher.

Zeche Zollern - Maschinenhalle

Zeche Zollern – Maschinenhalle

Vor ein paar Wochen hatte ich die Gelegenheit, einige Standorte, sprich Museen, des Landschaftsverbandes Westfalen – Lippe zu besuchen. Ich war fasziniert; nicht nur von der Art der Präsentation, den Erklärungen, die wirklich ein industrielles Zeitalter zu neuem Leben erweckten, es war das schier Mechanische, das mich in seinen Bann zog. Vielleicht auch die Größe. Vielleicht auch, dass man in dieser Zeit noch versuchte, das rein Mechanische mit dem Schönen zu verbinden. Eine Zeche mit Elementen des Jugendstils.

Wenn wir einen Blick auf unsere heutige Industriearchitektur werfen – einmal abgesehen, von einigen wagemutigen Beispielen, die meistens in der „campagna“ zwischen Mantova und Rom vergammeln und auch die Verbindung zwischen Mensch, Natur und Technik vermissen lassen, herrscht Öde.

Welcher Architekt wagt es noch, Industriearchitektur zu schaffen, die dem Menschen entspricht, der Arbeit förderlich ist und … Schönheit ausstrahlt.

Ich weiß.
Schönheit.
Horribile dictu.
Brauchen wir nicht.

Doch.
Dieses „doch“ der deutschen Sprache ist ein wunderbares Wort.
Mächtig 🙂

Deshalb noch einmal:
Doch

Schiffshebewerk Henrichenburg

Schiffshebewerk Henrichenburg

Wir brauchen Schönheit.
Im Alltag.
In allem was uns umgibt.
Sie erhebt uns über eben jenen Alltag.
Sie lässt uns teilhaben an der Schöpfung.

Und sie sollte auch ihren Platz in der Industriearchitektur haben.

Die Aufnahmen entstanden in der Zeche „Zollern“ und im Schiffshebewerk „Henrichenburg“; ich hoffe, in den nächsten Jahren auch die anderen Standtorte des Landschaftsverbandes Westfalen – Lippe besuchen und für eine Ausstellung zu fotografieren. Die Museen, wenn man diese Standorte überhaupt als solche bezeichnen kann, sind vorbildlich, faszinierend, spannend … einen Besuch wert. Und vergesst die Kamera nicht 🙂