Wegkreuzungen – Kreuzwege

An jeder Kreuzung müssen wir uns entscheiden. Recht oder links ? Weitergehen oder doch besser umkehren. Viele Christen gehen am Karfreitag den Kreuzweg, sie folgen dem Weg Jesu, teilen seine Angst, erfahren, dass es Hilfe auf jedem Weg gibt, erinnern sich an seinen Tod. Den Tod am Kreuz. Eine wohl der schrecklichsten Weisen zu Sterben, die das klassische Altertum erdacht hat.

Als Fotograf blickt man vielen Menschen ins Gesicht, meist konzentriert, um etwas zu sehen, etwas festzuhalten. Der Blick des Lehrers ist differenzierter, oft versuche ich Erkenntnis zu spüren, bisweilen auch eine die gar nicht vorhanden ist.

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Wenn wir Menschen ins Gesicht blicken, sei es einfach als Zeitgenosse oder Freund, als Vater, gar als Liebender oder als Geliebter sehen wir im Gesicht des anderen auch Teile des Weges, den er oder sie gegangen sind. Wir erkennen, um mit Goethe zusprechen, die Schmerzen, die unendlichen, aber auch die Freuden.

Am Ende des Kreuzweges steht neben dem Tod, zumindest für Christen, die Gewissheit der Auferstehung. Der Ruf „Christus das Licht“, mit dem die neue Osterkerze am Ostermorgen in die Kirche getragen wird.

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Und für unser Leben? Natürlich beginnt auch der längste Weg mit dem ersten Schritt, natürlich hat Martin Luther King recht, wenn er uns rät einfach immer weiterzugehen. Es hilft aber nur wenig bei der Frage nach dem Ende. Dem Ende des Weges. Unseres Weges.

Es mag der Tag sein, es mag auch das graue, kalte Wetter sein, das es mir heute Morgen schwer macht, dieser Antwort nachzuspüren. Natürlich ist da das Vertrauen auf einen liebenden Gott; mehr Hoffnung gibt mir im Moment der Blick auf die Kindergesichter: In Ihnen finde ich die Freude auf das Morgen, die immer wieder über die im Alltag vergossenen Tränen hinweg hilft.

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Vielleicht sollten auch wir ein wenig mehr werden wie die Kinder, mehr unserem Inneren nachspüren und uns weniger in der Kakophonie des medialen Alltags zu Tode amüsieren.

Und dieses letzte Wort ausgerechnet in einem Blog – na ja, es war zumindest ein nachdenkliches.

Clouds

Wolkenbilder.

Einsamkeit.

Belanglosigkeit.

Man kann so leicht auch in Gemeinschaft einsam sein, wenn sich Belanglosigkeit einschleicht. Wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, wenn nur mehr die Oberfläche zählt und die Tiefe in sich selbst versinkt. Wenn man nicht mehr miteinander spricht, sondern übereinander oder gar über des anderen Kopf hinweg.

So wie morgendliche Cumulus Wolken, die im Sonnenlicht langsam verstreichen, breiter werden und sich schließlich auflösen.

Clouds 1

Clouds 1

Bei dem Versuch sie und meine Gedanken gleichzeitig festzuhalten, wäre ich fast gescheitert.

Für mich haben Wolken fast etwas metaphorisches, etwas, das sie mit unserem Leben verbindet.

Sie ändern sich so schnell, nichts scheint Bestand zu haben. Vergänglichkeit wird zum Prinzip. Morgendliche Cumulanten sind ein schönes, aber harmloses Beispiel; ein sommerliches Gewitter vermag schon deutlich mehr Schaden anzurichten – auch wenn es angeblich die Atmosphäre reinigt. Die Wolken kommen schnell über die Hügel im Westen, der Wind frischt auf …

Morgendliche Cumuluswolken ändern sich einfach.
Still. Unmerklich.
Irgendwann sind sie verschwunden oder haben sich zu Regenwolken gewandelt.
In jedem Wandel, steckt auch ein Stück Trauer.

Clouds 2

Clouds 2

Stellt sich die Frage nach dem Bestand. Wenn ich ab und zu durch die vielen Tausend Naturbilder klicke oder Blättere, je nach Alter der Photographien, stelle ich eigentlich immer wieder fest, dass nichts wirklich Bestand hat. Selbst die Steinformationen, die die Lava in die Seiten des Ätna gegraben hat, ändern sich, wenn auch oft in Zeiträumen von Jahrhunderten, Jahrtausenden oder gar Jahrmillionen.

Blumen, die heute erblühten, sind morgen verwelkt oder gefressen.

Pedro Arrupe, der langjährige General, sprich Leiter, des Jesuitenordens, pflegte zu sagen „habra cosas nuevas“; es wird immer wieder neue Dinge geben. Er meinte damit wohl, wir sollten uns in schwierigen Situationen nicht zu viele Gedanken machen und ein wenig auf Gott vertrauen, der uns stets neues bringt, aber uns bei der Bewältigung von Neuem auch beisteht.

Er hat Bestand.

Selbst mein Tee hat keinen – die Tasse ist leer 🙂

Snowflake

Ein grauer Morgen.

Schneeflocken Mitte März.

Ich musste an die Bücher von Pierre Basieux denken, die sich mit mathematischen Problemen und Strukturen zwischen Wirklichkeit und Fiktion auseinandersetzen.

Die Struktur der Schneeflocken ist mathematisch beschreibbar, ihre Schönheit jedoch nur ästhetisch wahrnehmbar und bis zu einem gewissen Grad darstellbar. Das für mich faszinierende ist die Vielfalt der Formen in der Einheit dessen, was wir als Schönheit empfinden.

Warum empfinden so viele von uns die Schneeflocke als schön? Warum erscheint sie uns gar als Symbol von Reinheit, von Unschuld?

Komplexe, symmetrische Gebilde.

Ob wohl unsere Seele, oder unser Gewissen ähnlich strukturiert sind?

Verlangt das Gewissen auch nach gewissen Symmetrien? Können wir Gut und Böse, die sich aus erworbenen Analogien speisen, nur symmetrisch wahrnehmen?

Schneeflocken

Schneeflocken

Ich versuchte heute morgen fallende Schneeflocken festzuhalten. Es war ein Experiment mit unterschiedlichen Einstellungen, Belichtungszeiten, Blenden … es sollten Bilder für ein Ausstellungsprojekt werden, das unter dem Arbeitstitel „Forma d’Acqua“ läuft und im Herbst dieses Jahres realisiert werden soll.

Die Formen des Wassers. Eigentlich hat Wasser gar keine Form. Wir finden oder empfinden es in den Formen, die wir ihm geben. Genau darum wird es auch bei der geplanten Ausstellung gehen.

Während ich zahlreiche Aufnahmen machte und Notizen schrieb, gingen mir die Ideen Basieux zur Struktursymmetrie durch den Kopf, ich machte mir aber auch Gedanken zu Zufall und Wahrscheinlichkeit. Wo würde die nächste interessante Konstellation dicker Flocken auftauchen?

Nicht einfach.

Fast wie im richtigen Leben.

Manchmal denke ich die Ereignisse fallen langsam vom Himmel wie Schneeflocken und wir stehen fasziniert daneben und sind nicht in der Lage zuzugreifen und unser Glück zu machen, wie es bei den Gebrüdern Grimm heißt. Ob es wohl immer ein Glück wäre? Ob wir durch das uns innewohnende Zögern bisweilen beschützt werden?

Ich weiß es nicht.

Manchmal wünschte ich mir, ich könnte mich bei den wirklich wichtigen Dingen im Leben leichter entscheiden. Andererseits: was sind die wirklich wichtigen Dinge im Leben?

Darf ich dich zitieren, liebe Ruth?

Muss man es wissen?
Soll man es wissen?

Ich gestehe: manchmal wüsste ich es schon gerne. Das dahinter liegende mathematische Konzept einer Schneeflocke. Was die Welt im innersten zusammenhält.

Oder warum man sich verliebt.
Das dürfte wohl am schwersten zu berechnen sein.

Tsuki (Haiku 6)

Tsuki – der Mond – ist in der japanischen Dichtung und Mythologie fast wichtiger als die Sonne – auch wenn Japan als das „Land der aufgehenden Sonne“ gilt und sich die Japaner unter dem besonderen Schutz der Sonnengöttin Amaterasu stehend sehen.

Als ich vor einigen Tagen an einem kalten, aber wunderbar klaren Morgen, der endlich einen etwas wärmeren Tag versprach, mit meiner alten Nikon im Garten stand um ein paar Eindrücke einzufangen, fielen mir die vielen Mondgeschichten meiner Japanischlehrerin ein.

Es ist viele Jahre her, dass ich mich intensiver mit der Sprache befasste, die Faszination für Japan wie auch für den Mond blieben mir jedoch – ich habe ihn in unzähligen Ländern viele Male fotografiert. In Japan unterstellt man dem Mond eine besondere Beziehung zu den Liebenden. Schon in dem berühmten „Kopfkissenbuch“ (makura no soshi) der Hofdame Sei Shonagon, finden sich Zeilen darüber, wie gut ihr der Mond gefalle, besonders am frühen Morgen, oder wenn er hinter dem Gipfel des östlichen Berges seinen ersten silbernen Strich zeige. Es muss der morgen nach einer wunderbaren Nacht gewesen sein … Er hilft auch zwei Liebenden, die sich an verschiedenen Orten befinden: beide entdecken denselben silbernen Mond am Himmel, wenn sie nach oben blicken und der Mond lässt sie aneinander denken.

Mir fiel spontan ein Haiku ein, der sogar auf Anhieb die richtige Silbenzahl enthielt – oft gar nicht so einfach, zumal die beschränkte Anzahl der Silben pro Zeile im Deutschen bei weitem nicht so elegant ist wie auf Japanisch.

Früher Mond wachend
über allen Liebenden
vom Tage verdrängt

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Tsuki – Mond

Das Bild des frühen Mondes, der noch den Morgenhimmel dominiert, vermag einem jedoch auch die eigene Einsamkeit nur umso deutlicher vor Augen zu führen. Indem er Ereignisse aus glücklicheren Zeiten wieder in Erinnerung ruft, ist es oft ein Gefühl von Verlassenheit, das sich in der Gegenwart einstellt. Auch hierfür finden sich Beispiele in der japanischen Literatur. Zu den bekanntesten dürfte wohl die Erzählung vom Prinzen Genji (Genji monogatari) von Shikibus Murasaki gehören. Der Prinz erblickt im Exil, am Strand stehend, den Mond und wird von den Erinnerungen an die Hauptstadt überwältigt.

Glaubt man den Worten Yoshida Kenkos, so vermag der Mond in jeder Lage Trost zu spenden – der Anblick der silbernen Scheibe hat, zumindest für mich, tatsächlich stets etwas Beruhigendes.

So auch an diesem Morgen, der in einen hellen, frühlingshaften Tag mündete.

Vuoto

Leer.

Warum ich diesem Blog ausgerechnet „vuoto“ nannte? Nun es ist das italienische Wort für „leer“ und ich wurde irgendwann diese Woche um halb vier wach und sah mich mitten in der Nacht in einem leeren in ATAC Bus. Gut, das war jetzt ein kleiner Scherz für Eingeweihte, ATAC ist die römische Nahverkehrsgesellschaft.

Es ist mir tatsächlich schon gelungen in einem Bus nach Mitternacht, ich glaube es war der 116er, ohne einen anderen Passagier vom Vatikan zur Piazza dei Fiori zu fahren. Ein eigenartiges Gefühl in einer Stadt wie Rom mitten in der Nacht allein in einem Bus zu sitzen.

Einsamkeit.

Roma

Roma

Man kann auch in Mitten von vielen Menschen einsam sein, wirkliche Einsamkeit bedarf jedoch einer gewissen äußeren Leere. Es ist heute recht schwierig geworden diese Einsamkeit zu finden. Die 12 Quadratmeter meines Arbeitszimmers stehen bisweilen zur Verfügung, und wenn man zur rechten Zeit auf dem Weg zu einem möglichst unbekannten Gipfel ist, kann es selbst heute noch vorkommen, dass man allein unterwegs ist.

Aber sonst?

Man kann sich abkapseln, den Rest ausblenden .. mein alter Zen Meister hätte vermutlich ob meiner Probleme gelächelt. Aber ich habe es halt auch nie zur Meisterschaft gebracht.

Trotzdem fühlte ich diese Woche oft die Leere.
Vuoto.

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Abkapseln

Es war nicht die Leere, die ein Ding erst schön machen kann. Die Leere, die sich in der Kunst findet. Die Leere, die in der Fotografie einem Objekt erst zu seiner wirklichen Fülle verhilft.

Fülle.

Der Gegensatz zur Leere. Leben in Fülle. Da war einer, der das verheißen hat. Ob er sich dessen bewusst war, was in unserem Leben passiert? Nein, ich meine jetzt nicht nur unser Leben heute, das uns, ob der digitalen Zeiten, oder der Geschwindigkeit unseres Daseins im 21. Jahrhunderts leer vorkommen mag.

Ich meine das Leben eines jeden Einzelnen – so wie wir es seit hunderten, ja seit tausenden Jahren leben und erleben.
Ein Leben, das immer wieder mit einer erdrückenden Leere gefüllt sein kann.
Ja, ich bin mir durchaus bewusst, dass dieses Bild sprachlich in einer gewissen Schieflage ist.

Leere kann schön sein.
Inspirierend.
Befreiend.
Also frei machend zu Neuem.

Aber sie kann einen auch noch tiefer in ein Loch ziehen, das letztendlich auch für Leere steht.

Hoffen wir auf ein Leben in Fülle.
Ein Leben, das uns ausfüllen wird.