Es war ein eigenartiges Zusammentreffen. Auf einem abendlichen Spaziergang, in der viel beschriebenen blauen Stunde, die auf den Fotos auch tatsächlich „blau“ wiedergegeben wird, fielen mir zahlreiche parallele Strukturen auf: Bänke, Tore, Linien auf den Böden. Optik und das besondere Licht … es war ein kleines Experiment.
Es gibt so viele Parallelen in unseren Leben, Dinge, die sich immer wiederholen, Dinge, die einem Freund zur gleichen Zeit passieren, zwei Kräne zu in einem bestimmten Moment ihre Ausleger genau parallel ausgerichtet haben. Oft ist es ein optischer Effekt, der im nächsten Moment wieder verflogen ist.
Die Mathematik sagt uns, dass sich parallele Linien in der Unendlichkeit schneiden.
Mir kam der Gedanke an Parallelität heute morgen wieder in den Sinn, als ich in einem der vielen Nachrufe auf Frank Schirrmacher, den viel zu jung, im Alter von nur 54 Jahren, verstorbenen Feuilletonchef der FAZ, den Satz las: Er hat alles immer zu jung erreicht, jetzt ist er zu jung gestorben.
Dieser Satz ließ mich nicht mehr los – war das wirklich eine Parallelität?
Frank Schirmmacher wirkte in der Tat immer recht jung, was ihn mir jedoch wirklich als jung erscheinen ließ, war sein Interesse an einer großen Vielfalt unterschiedlicher Felder, sein Wille sich schnell in neue Themenfelder einzuarbeiten, sie zu verknüpfen, eine Meinung dazu zu entwickeln und sie zu publizieren. Public intellectual nennt man das in der englischsprachigen Welt.
Einer der Nachrufverfasser schrieb, Schirrmacher sei immer ein Kind geblieben. Wenn man darunter einen kindlichen Geist im Sinne einer nicht enden wollenden Neugierde, eines fragenden Wesens, eines sich parallel auf vielen Wegen bewegenden Menschen versteht, kann ich das gut nachempfinden. Auch ich bin gerne noch in diesem Sinne Kind. Walser schreibt in der FAZ von heute, wenn man nicht mehr überrascht, dann sei man endlich erwachsen geworden. Nun in diesem Sinn ist Martin Walser sicher erwachsen, ich möchte es doch keinesfalls werden.
Was das alles mit Parallelen zu tun hat? Es war die Atmosphäre jener blauen Stunde, die Assoziationen zwischen den Bildern und den vielen Parallelen in meinem Leben in weckte. Gleichzeitigkeiten die ich mag, die mein Leben spannend halten, die es mir erlauben andere zu überraschen.
Kinder werden gerne überrascht und sie überraschen gerne, aber im Gegensatz zu einem kleinen Zeitfenster, genannt Pubertät, wenn junge Menschen gegen alles und nichts aufbegehren – am meisten gegen sich selbst – kann man auf Kinder durchaus rechnen.
Die unangenehmsten Erwachsenen sind die, die in der Pubertät stecken bleiben und selbstverliebt um den eigenen Nabel tanzen. In parallelen Kreisen, die sich allerdings nicht in der Unendlichkeit treffen.