Saldi

Saldo ist ein merkwürdiges Wort. Wenn man viele Jahre in Deutschland verbracht hat, denkt man dabei fast zwangsläufig an Buchhaltung. Die meisten Italiener werden an die jenseits der Alpen so beliebten SALDI denken; den Ausverkauf, Abverkauf, die Sonderangebote. Vermutlich wegen letzterem auch stets im Plural Saldi.

Saldi delle emozione.

Emozioni

Ich las es gestern in einem Roman von Andrea Camilleri, vermutlich lässt es sich am besten mit Ausverkauf der Gefühle übersetzen. Camilleri schrieb über einen Mann zwischen zwei Frauen. Ich musste heute morgen wieder daran denken, als ich Bilder zum Thema Gefühle und Freundschaft suchte.

Ausverkauf der Gefühle.

Im Feuilleton der FAZ las ich dieser Tage über einen Film der das große Gefühl auf die Leinwand bringen soll. Das bitte was? Gewiss es gibt Gefühle, schöne und weniger schöne, traurige, bedrückende, fröhliche; aber kann es denn wirklich das große Gefühl geben?

Saldi?

Und was wäre dann der Ausverkauf der Gefühle? Kann man Gefühle wirklich zu Markte tragen? Sind sie nicht so persönlich, dass man sie zwar herausschreien, aber nie verkaufen kann? Gehören sie nicht zum wirklich letzten, das auf diesem verrückten Planeten noch keinen Preis hat? Die echten meine ich. Die falschen, die vorgespielten, die zweckgerichteten haben schon seit tausenden Jahren ihren Preis und wohl auch ihren Platz in der Gesellschaft.

Die beiden Photos dokumentieren, wie ich finde, emotionale Momente.
Gespielt und wirklich.

Ein Preis fällt mir eigentlich für keinen von beiden ein.

Diagonalen

Diagonalen trennen und verbinden.
Sie halbieren Räume.
Vielleicht sogar Zeiten.

Morning Has Broken

Diagonalen im Leben.
Verbindungspunkte zwischen Trennendem.
Linien zwischen gegensätzlichen Erfahrungen.

Man-made Diagonals

Linien am Himmel.
Flüchtig.

Ephemeral Diagonals

Ich bin bei solchen Linien am Himmel schon oft zu spät gekommen. Selbst in den wenigen Sekunden, bis man die Kamera bereit hat, kann es zu spät sein um den besonderen Moment, das besondere Licht, die besondere Gestaltung des Raumes festzuhalten.

Man denkt oft, alles was sich im Himmel abspielt, braucht seine Zeit; sehr wahr, nur manchmal kann auch diese Zeit sehr kurz sein.

Verfall

Ich war kurz versucht, dieses kleine Feuilleton „Auslöschung“ zu nennen, ganz im Sinne des gleichnamigen Romans von Thomas Bernhard. Aber es geht eigentlich nicht wirklich um Auslöschung, es geht um die Faszination am Verfall, der die Fotografie schon der der Frühzeit und nicht erst seit den digitalen Zeiten beherrscht.

Grafik des Verfalls

Walter Benjamin hat sich damit auseinandergesetzt, Susan Sontag schrieb in Melancholy Objects: „But the old world cannot be renewed – certainly not by quotations, and this is the rueful, quixotic aspect of the photographic enterprise.“

Was fasziniert uns Photographen am Verfallenden oder Verfallenen? Es kann nicht die Lust an der Dokumentation des Vergangenen sein, denn wir dokumentieren ja nur den Verfall desselben, die Dokumentation bedarf des erhaltenen. Ist es die Tatsache, dass Linien gebrochen sind, dass Formen nicht mehr dem Ideal des Planers oder den ästhetischen Idealen entsprechen?

Auch mich ziehen solche unvollkommenen Szenarien an, aber ich würde Susan Sonntag nicht beipflichten, dass es sich um einen Trieb zum Surrealen handelt. Der Verfall von Bauwerken ist äußerst real und bietet dem Photographen Formen und graphische Elemente, die eben nicht perfekt sind. Das Urheberrecht macht es heute sehr schwer eben jenes nicht Perfekte bei menschlichen Wesen einzufangen und zu publizieren. Vielleicht dienen Gebäude hier einfach Projetionsfläche, gewissenmaßen als pars pro toto, für das menschliche Handeln insgesamt.

Widerstreit im Verfall

Interessant ist, dass es der Natur stets gelingt, auch im natürlichen Verfall eine gewisse Würde zu bewahren; eine Würde, die den Früchten der menschlichen Arbeit meistens verwehrt bleibt. Der Schöpfung wohnt eben doch schon ihr Tod inne – und die Auferstehung.

Perfektion im Verfall

Schatten

sagen zwar nicht alles, aber sie geben einem Bild Tiefe, pflegte mein alter Lehrer zu sagen. Manchmal bewirken Schatten sogar den Unterschied zwischen einem langweiligen Bild und einer Darstellung, die zum Nachdenken einlädt.

Schattenwerfendes

gefangenes Licht

Entgegenstrebend.

Lebendige Schatten

Mich befriedigt dieses Bild nicht völlig, weil mich die Schatten im Bokeh rechts stören – nach der japanischen Ästhetik macht es gerade dieser Fehler perfekt. Mich hatte allerdings der Schattenwurf der Blütenblätter zu der Aufnahme angeregt.

Jeder Anfänger konzentriert sich beim Photographieren zu sehr auf das Offensichtliche und übersieht das Nebensächliche. Mein schönster Fehler war vor vielen, vielen Jahren ein wunderschönes Portrait, nur dass der Porträtierten ein Ast aus dem linken Ohr wuchs …

Manchmal sind es aber gerade die Nebeneffekte, die ein Bild besonders machen – so die Schatten der Blütenblätter in dieser Aufnahme. Ich weiß nicht, wer meiner geschätzten LeserInnen Tanizakis Jun’ichiros „Lob des Schattens“ kennt und eigentlich ist diese Aufnahme viel zu hell um der japanischen Ästhetik zu genügen; trotzdem glaube ich, dass der Meister sie zu schätzen wüsste …

Erntedank

Eigentlich ein fröhliches Fest, Erntedank. Eine in vielen Farben mit den unterschiedlichsten Blumen, Gemüse und Obst geschmückte Kirche, meistens auch viele fröhliche Kinder, die danach die Dekoration plündern 🙂

Mich macht Erntedank aber auch nachdenklich. Nachdenklich darüber, wie wir mit diesem Planeten umgehen, wie vielen Menschen es ob unseres Wohlstandes nicht gut geht.

Ich hatte meine Kamera dabei, als ich an abgeernteten Maisfeldern vorbei spazieren ging.

Stoppelfeld

Die kurzen Überbleibsel der Maispflanzen sprechen eine ganz eigene graphische Sprache. Ich sah sie im Spiel von Licht und Schatten sofort in schwarz – weiß vor mir. Für mich transzendieren diese Pflanzenreste die Ernte, über die wir uns heute freuen, hin zu dem, was uns nachdenklich stimmen sollte.

Mais im Oktober

In den vergangenen Tagen las ich wieder einmal in Susan Sontags berühmten Essays „On Photography“ und habe seit langen einmal wieder die Bilder von Diane Arbus betrachtet. Es ist schon bemerkenswert, wie Susan Sontag bereits Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die kaum mehr zu bewältigende Bilderflut durch Polaroidkameras und die daraus folgende Entwertung der Photographie als künstlerischem Medium beklagt.

Ich halte die Photographie nach wie vor für ein Medium mit Hilfe dessen man die zu beschreibende Welt transzendieren kann. Man kann in einem Bild weit mehr sagen, sofern man sich seines Platzes in Platos Höhle (Plato’s Cave), wie Sontag so schön schreibt, bewusst ist.

Auch in digitalen Zeiten.

Haiku

Geschenkte Zeiten

Verschwendet, Weggeworfen

Schwebend im Nebel.

Herbstliche Nebel

Die Welt in siebzehn Silben.

Der japanische Haiku hat mich schon lange vor meiner ersten Asienreise fasziniert.

Warum ist es immer wieder der Herbst, der diese Form der Lyrik in mein Bewusstsein ruft?

Vielleicht ist mir die Natur besonders nahe in dieser Zeit.

Vielleicht war es auch der Mensch, von dem wir heute Abschied nahmen.

Er hat seine geschenkte Zeit wohl nicht verschwendet.

Und wir?