Konzentriert

Sprudelnd, gurgelnd, schäumend prescht das Wasser durch die Partnachklamm. In vielen Jahrtausenden hat es sich eine Schneise in den Fels gespült. Aus einem breiten, seichten Flussbett mit kleinen Ausbuchtungen, sanften Strudeln, die Trichter bilden und sich um sich selbst drehen, kleinen Stromschnellen, die Steine umspielen, verdichtet sich das Wasser und schießt mit zunehmender Geschwindigkeit durch das Felslabyrinth. Je nach Jahreszeit zeigt sich dort ein faszinierend anderes Bild, gefrorene Wasserfälle im Winter, tosendes Wasser zur Schneeschmelze im Frühjahr, das bis in den Sommer hinein alles mitreißt, was im Weg liegt. Im Herbst tauchen die Bäume die Klamm in sanftes gold-braunes Licht und es ist ein Vergnügen, selbst bei Regen halbwegs trockenen Hauptes durch die Gänge der Klamm zu gehen und den Wassermassen zuzuschauen.

Partnachklamm - © Thomas Michael Glaw

Partnachklamm – © Thomas Michael Glaw

Sprudelnd, überschäumend und mitreißend, so erlebe ich – leider viel zu selten – Menschen, die von einer Idee begeistert sind, die ein Ziel haben, das sie anstreben, ungeachtet aller Einwände und Hindernisse, weil sie davon überzeugt sind. Wie bei der Klamm konzentrieren sie sich darauf, lassen den Ballast des alltäglichen zurück, die Aktivitäten, die man aus Pflichtbewusstsein, aber nicht aus Überzeugung, macht, und stecken alle Energie in diese Idee. Sie entwickeln dabei eine Lebendigkeit, die mitreißt und begeistert.
Bei dem Weg durch die Klamm entdeckt man immer wieder Baumstämme und Äste, die verkeilt zwischen Steinen festsitzen, vom tosenden Wasser umspült, oder Zweige, die von Strudeln gefangen sich immer schneller um sich selbst drehen. Auch bei den Menschen, die sich von Ideen begeistern und mitreißen lassen, gibt es diese Steine, die Fragen, eigene Ideen und anderen Ansichten, die blockieren und einen auf der Strecke stecken lassen. Manchmal hilft ein einfacher Handgriff, ein Gespräch, das Hindernis zu beseitigen, um wieder mit dem Strom zu schwimmen, sich aktiv einbringen zu können, manchmal ist es aber auch die Erkenntnis, nicht am richtigen Ort zu sein, aussteigen zu müssen und sich eigene Wege zu suchen. Denn: nach der Klamm ist man ein anderer, nicht mehr der, der man vorher war, reicher an Erfahrungen und vielleicht auch der einen oder anderen blauen Flecken und Narben.

Gastbeitrag von Dorothea Elsner zum Kalenderblatt Mai 2015

Campo Verano

Ein altes Feld nennen die Römer ihren größten städtischen Friedhof, angelegt 1807. Rom ist voll von Friedhöfen, aber dieser ist zugegebenermaßen einer der interessantesten.

Campo Verano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Verano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Warum mich Friedhöfe anziehen? Nein, es ist keine morbide Ader in mir, es ist einfach die Chance ein wenig Frieden in der Hektik großer Städte zu finden. Das italienische „cimiterio“ geht auf das griechische κοιμητήριον (koimetérion) zurück, das soviel wie entlegener Ort bedeutet. Die meisten Friedhöfe, um bei dem deutschen Wort zu bleiben, sind nicht entlegen. Sie bieten aber ein wenig Frieden. Ich vermag nicht zu sagen, warum mir gerade bei diesem Wort der deutsche Ausdruck so gefällt …

Der Campo Verano ist auch bekannt als Campo Santo Verano, also als altes heiliges Feld. Im alten Rom ist es ein Ort, in dem man Atem holen kann, Geschichten nachspüren kann und, ja, auch großen Italienern seine Reverenz erweisen kann.

Campo Verano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Verano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Da gibt es Kinder und Alte, Berühmte und Menschen, die bestenfalls durch ihren Grabstein in den Rang einer Berühmtheit erhoben werden sollen. Wenn man vor Ungarettis schlichter Grabplatte steht, erinnert man sich fast automatisch an sein kürzestes Gedicht „M’illumino / d’immenso“.

Vor allem aber gibt es im Campo Verano Ruhe. Und es gibt, wenn man den Richtigen Zeitpunkt wählt, auch Sonne, die all diese memento mori ins richtige Licht rückt.

Schlimmstenfalls gibt es einen, tja wie soll man so etwas nenne, einen Inspektor, der, kaum 1,65 m groß, und sich an einer hellbraunen Herrenarmtasche festhaltend, auf einen zu läuft und plärrt „No, Photo, no photo!“. Vielleicht darf ich an dieser Stelle kurz auf zwei Typen eingehen, die das Leben in Italien mehr bestimmen als Pizza, Pasta und die Gazetta dello Sport zusammen: den furbo und den pignolo. Der furbo, übersetzt listig oder bauernschlau, mogelt sich an allen existierenden Regeln vorbei an den Anfang einer Schlange, bekommt seinen caffé und seine piadine immer zuerst und hat für alle anderen ein Lächeln und einen Sack von Ausreden parat.

Campo Varano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Varano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Unser vermeintlicher Friedhofsinspektor, ich weiß allerdings bis heute nicht wer oder was er wirklich war, gehört zur zweiten Spezies dem pignolo. Mein Wörterbuch schlägt dafür den deutschen Begriff Pedant oder gar Korinthenkacker vor – damit liegen sie gar nicht so schlecht. Ein pignolo hält sich immer an Regeln, vor allem versucht er aber, sie allen anderen auch dann aufzuzwingen, wenn sie eigentlich gar keinen Sinn machen. Entgegen landläufiger Meinung ist nämlich das auch so entspannte Italien sehr wohl mindestens so reich an unsinnigen Regeln wie Deutschland – die Italiener sind nur campione mondiale darin, sie zu umgehen. Nicht so der pignolo …

Unser pignolo versuchte uns klar zu machen, dass auf dem Friedhof fotografieren verboten sei. Nun gibt es dort kein Schild, dass ein solches Verbot verkündet, ein Friedhof ist auch keine Metrostation und kein Bahnhof, wo in Italien, wie in den Ländern des alten Ostblocks, bis heute das Fotografieren verboten ist. Gerade auf dem Campo Verano, wo unzählige Berühmtheiten, Kardinäle und nicht zuletzt der Held des italienischen Risorgimento, Giuseppe Garibaldi,  beerdigt sind, macht ein solches Fotografierverbot überhaupt keinen Sinn. Was macht man in einem solchen Fall? Nun man gibt vor kein Italienisch zu können, lächelt, sagt zwei oder dreimal „Grazie“ und der pignolo verschwindet wieder, schulterzuckend, und versucht 150 Meter weiter ein paar Bauarbeitern ihren Job zu erklären. Die sprachen italienisch …

Campo Varano, Rom - © Thomas Michael Glaw

Campo Varano, Rom – © Thomas Michael Glaw

Natürlich sollte man sich an einem solchen Ort respektvoll verhalten, aber warum sollte man die Stimmung und in gewisser Hinsicht auch die Geschichten der Menschen nicht im Bild festhalten dürfen? Wer immer in Rom ein ruhige Stunde abseits der Massen verbringen will, dem empfehle ich einen Spaziergang auf dem Campo Santo. Nachdem er in der Nähe der Universität und des Studentenviertels ist, kann man in den umliegenden Straßen auch gut und preisgünstig zu Mittag essen …