Notizen aus der Provinz (1)

Es war ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der mir ins Gedächtnis rief, dass wir heuer den 150 Todestag Friedrich Rückerts begehen. Vielen wird der Mann gar nichts sagen, manchem nur durch seine von Gustav Mahler vertonten Kindertotenlieder im Gedächtnis geblieben sein, den Mitglieder von Gesangsvereinen möglicherweise durch dieses zum musikalischen Rührei verkommene Lied Aus der Jugendzeit.

Rückert wurde in Schweinfurt geboren und starb in Neuses, das heute zu Coburg gehört, wo er die letzten 18 Jahre seines Lebens verbracht hatte. Wenn man den medialen Wind, den diese beiden Städte um dieses Jubiläum veranstalten, betrachtet, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich ein Besuch in Oberfranken lohnen würde, zumal der Wetterbericht Sonnenschein versprach.

Als wir in unserem Hotel in Coburg ankamen, mussten wir zunächst einmal die Wirtin auf dem Handy anrufen, um Zugang zu diesem Etablissement zu bekommen, aber die Villa Victoria stellte sich als durchaus charmantes Hotel heraus. Die englische Königin Victoria, die ihren späteren Ehemann Albert in Coburg kennengelernt hatte, erwies sich überhaupt als deutlich präsenter in der Stadt als Friedrich Rückert. Angeblich hat Albert ihr sogar mit einem Liebesgedicht aus Rückerts Feder den Hof gemacht.

Ein erster Gang durch die Stadt bestärkte mich in dem Eindruck, dass die Stadtväter (und Mütter) von Coburg einiges von Marketing verstehen. Zunächst präsentiert sich die Stadt so, wie man es nach dem im Web Gelesenen erwartet hatte. Der imposant renovierte Marktplatz liegt in der Abendsonne und man spürt kleinstädtisches Leben. Fotografisch interessant ist ein erster Blick auf einen der fünf noch existierenden sogenannten Coburger Erker. Es handelt sich um eine Spielart des Erkers aus dem 16 Jahrhundert, den es so nur in Coburg gibt. Er ruht auf einer Säule und findet seinen Abschluss in einer welschen Haube.

Coburger Erker am Rathaus © 2016 Thomas Michael Glaw

Coburger Erker am Rathaus
© 2016 Thomas Michael Glaw

Wenn man jedoch den Platz hinter sich lässt, fühlt man sich sehr schnell wieder in der oberfränkischen Provinz, die den Status des Zonenrandgebietes noch lange nicht abgeschüttelt hat. Pinten, Spielhallen und Dönerbuden wechseln mit leerstehenden Geschäften und den üblichen billigen Ketten, wie man sie in einer Kleinstadt in der Provinz erwartet.

Ähnlich verlief die Suche nach einer Wirtschaft, die sich als wahrer Vertreter des Bierlandes Oberfranken mit seinen mehr als dreihundert Brauereien erweisen würde. Auch hier wurden wir nicht sonderlich fündig, drei Großbrauereien dominieren das Bild. Schöne, alte Stadtvillen werden von Banken, Bausparkassen und der VHS bewohnt und spätestens ab 21 Uhr sind die Straßen, bis auf wenige, arabisch sprechende Männer, die in Hauseingängen oder auf modernen Kunstwerken sitzen und sich unterhalten, leer.

Innenstadt Coburg © 2016 Thomas Michael Glaw

Innenstadt Coburg © 2016 Thomas Michael Glaw

Im Goldenen Kreuz fanden wir dann schließlich doch noch ein Restaurant, das neben Weißwürsten im Paar (Liebe Oberfranken, wenn ihr schon Weißwürste anbieten müsst: diese werde per Stück geordert und verzehrt) und Spargel mit Coburger Bratwurst auch einen Fränkischen Sauerbraten im Angebot hatte. Sogar ein, zwar nicht hausgebrautes, aber doch von einer kleinen Brauerei gebrautes Bier namens Kreuztrunk gab es dort. Wenn doch nur der Küchenchef auf das Sahnehäubchen zum Sauerbraten verzichtet hätte. Im wahrsten Sinne des Worten. Die Sauce war nämlich wirklich exzellent.

Leider meinte es Petrus am folgenden Tag nicht mehr ganz so gut mit uns. Regen wechselte mit sonnigen Momenten und machte vor allem das Fotografieren ein wenig schwierig. In der Hoffnung auf besseres Wetter für unsere Rückert Explorationen machten wir uns zunächst einmal auf zur Veste Coburg. Martin Luther hatte dort 1530 eine sechsmonatige Zwangspause eingelegt, denn er stand unter Reichsacht, und musste Philipp Melanchton zum Reichstag in Augsburg allein weiterreisen lassen . Vor der Veste gibt es 10 (in Worten zehn) Parkplätze, die natürlich besetzt waren. Reisende werden auf einen Parkplatz verwiesen der einen halben Kilometer entfernt liegt. Besonders für ältere Gäste, ein sicherlich höchst praktisches Arrangement. Wer dann nach einer weiteren Fußstrecke auf Kopfsteinpflaster (vermutlich dem Denkmalschutz geschuldet, trotzdem für einige ältere Damen am Stock sehr beschwerlich) auf dem Burghof steht und die Treppen zur Burgmauer erklimmt, wird mit einem wunderbaren Blick auf das Coburger Land belohnt. Die Kunstsammlung der Veste erweist sich allerdings als rechtes Sammelsurium – was eben reiche Männer in den vergangenen Jahrhunderten so zusammengetragen haben, um Eindruck zu schinden. Interessant ist vielleicht noch ein Blick auf die allgegenwärtige moderne Kunst in Coburg. Da wäre zum einen eine mit mehrfarbigen Lutherfiguren garnierte Treppe und zum andere diverse unbekleidete Damen. Die kunstsinnigen Bürger der Stadt scheinen eine Obsession mit Nacktheit zu haben: wenn modern, dann nackt, scheint das Motto zu sein.

Veste Coburg - Luther Installation © 2016 Thomas Michael Glaw

Veste Coburg – Luther Installation © 2016 Thomas Michael Glaw

Die Treppe mit den farbigen Luthern führte übrigens zu beständigen Kämpfen zwischen Eltern und Kindern. Es ist aber auch schwer, letzteren klar zu machen, dass diese hübschen, etwas zu groß geratenen Gartenzwerge nicht zum Spielen geeignet sind, wenn sich beständig in den Hüften etwas auslandendere Damen in den Siebzigern zwischen eben jene zwängen, um sich von ihren Ehemännern ablichten zu lassen.

Friedrich Rückert.
Eigentlich sollte er ja im Zentrum unseres Besuchs in Coburg stehen. Die Stadt selbst macht um ihren großen Sohn, einmal abgesehen von ihrer Webseite, recht wenig her. Wie gesagt, er verbrachte seine letzten Lebensjahre auf einen Gut in Neuses, das heute zu Coburg gehört, dort liegt er auch begraben. Wenn Sie das ehemalige Wohnhaus besuchen möchten, sollten Sie über gute Augen, einen vernünftiges Navigationsgerät und ein wenig detektivischen Spürsinn verfügen. Der Hinweis auf Grab und Museum ist beim Vorbeifahren nur sehr schwer wahrzunehmen, also verlässt man sich am besten auf die quäkende Stimme des Navis, das in der Friedrich Rückert Straße 13 verkündet Sie haben ihr Ziel erreicht. Ein Gang auf den Friedhof der Kirche führt tatsächlich zu Rückert Grab, der Friedhof ist klein genug, man kann es nicht übersehen. Die Suche nach dem angekündigten Museum gestaltet sich schon spannender. Geht man dem Zeichen nach, steht man vor einem Mehrspänner Wohnhaus, das möglicherweise einmal das Gutshaus gewesen sein könnte. Liest man die Türschilder, so findet sich tatsächlich auf einem der Name Rückert. Es scheint sich jedoch um ein Privathaus zu handelt. Der suchende Gang um die Ecke endet bei den Mülltonnen. Wenn man in diesem Jahr tatsächlich mit mehr Menschen rechnet, die auf den Spuren dieses unglaublich vielseitigen Dichters, bedeutenden Orientalisten und überzeugten Demokraten wandeln wollen, sollte man es den Suchenden vielleicht etwas einfacher machen.

Ähnlich detektivischen Spürsinnes bedarf es zum Auffinden von Rückerts Dichterklause auf dem Goldberg. Sie lässt sich zwar ungefähr lokalisieren, wenn man in die Nähe fährt, findet man sich am Ufer eines kleinen Sees wieder – weitere Hinweise Fehlanzeige. Wenn man es schafft, das Auto abzustellen, ohne die Nachbarn allzu sehr zu behindern (Parkplätze gibt es natürlich nicht) führt ein kleiner Sparziergang zum Goldbachsee tatsächlich zu einer Übersichtstafel, auf der man einen Vermerk zu Rückerts Haus findet. Natürlich muss man den ganzen Weg zurückgehen, um dann über eine wunderschöne Allee dorthin zu gelangen.

Allee zu Friedroch Rückerts Dichterklause - © 2016 Thomas Michael Glaw

Allee zu Friedroch Rückerts Dichterklause – © 2016 Thomas Michael Glaw

Die Spuren Friedrich Rückerts in Coburg sind also eher spärlich. Wir sind gespannt auf die Ausstellung Rückert Weltpoet im eine Stunde entfernten Schweinfurt und hoffen, dass dieses Mal das mediale Gedöns Wort hält.

 

Reisepraktisches:

Das Hotel Villa Victoria ist ein mit viel Liebe von der Eigentümerin renoviertes Biedermeierhaus. Es hat Atmosphäre und vom Service könnte sich so manches Etablissement eine Scheibe abschneiden. Die Räume sind allerdings sehr hellhörig, sprich wenn sie ein Zimmer im Erdgeschoss haben, werden sie spätestens um sieben durch den Frühstückstrubel wach, so sie nicht schon vorher die Uhr im nahen Stadttor viertelstündlich daran erinnern hat, was die Stunde schlägt. Die Hotellerie in Coburg erschien uns generell recht hochpreisig – vor ein paar Wochen haben wir zum Preis unseres Coburger Doppelzimmers in einem fünf Sterne Hotel mitten im Madrider Literatenvierten, dem Barrico de los Poetas, genächtigt.

Den wunderbaren Fränkischen Sauerbraten mit Kreuztrunk gab es im Goldenen Kreuz ums Eck vom Marktplatz. Vielleicht bitten Sie einfach darum, auf das Sahnehäubchen zu verzichten 🙂 .