Politik am Stammtisch

Eine Antwort auf Tanja Drückers in ZEIT Online vom 24.6.2016

Es war der letzte Satz dieses Beitrags in der Zeit, der mich zu diesen Zeilen bewog.

„Politik darf nicht am Stammtisch entschieden werden.“

Das ist ein Klischee, das in der gegenwärtigen politischen Debatte in Deutschland gerne bedient wird.

Die Leute am Stammtisch sind blöd.

Schottische Landschaft bei North Berwick - © 2015 Thomas Michael Glaw

Schottische Landschaft bei North Berwick – © 2015 Thomas Michael Glaw

Ich hingegen glaube, die Menschen, die in den Pubs, Beisln, Tavernen und Stammtischen dieser Welt verkehren, haben möglicherweise ein klareres Bild ihrer Lebenswirklichkeit, als viele Politiker oder Kommentatoren. Das macht sie nicht weniger anfällig für die verführerischen Töne machtgieriger Parvenüs, ob sie nun Johnson, Kaczynski, Orbat oder Iglesias heißen.

Diese Menschen sehen, dass unsere Gesellschaft sie mit einem müden Lächeln zurück lässt. Sie sehen, dass das „Internet of Things“, das die Eliten in den Himmel loben, ihnen nichts bringt. Sie sehen, dass sie seit mehr als zehn Jahren kaum einen Euro mehr als Netto vom Brutto haben.

Und wir zeigen mit dem Finger auf sie, halten sie für ungebildet und leicht verführbar.

Drehen wir doch die Frage einmal um:

Was haben wir getan, um sie zu bilden?
Fordern und fördern ist, zumindest hier in Bayern, grandios gescheitert. Unsere Schulen füllen noch immer leere Eimer, anstelle ein Feuer zu entfachen, unsere Universitäten (und viele Einrichtungen, die diesen Titel, weiß Gott, nicht verdienen) jagen jungen Menschen durch fragwürdige Curricula, ohne ihnen Denken und soziale Kompetenz beizubringen.

Ich gebe gerne zu, lange ein Fan von Gerhard Schröders „Agenda 2010“ gewesen zu sein. Langsam aber glaube auch ich, dass wir wesentliche Teile unserer Gesellschaft damit im Regen haben stehen lassen. Da hilft auch kein Lamentieren über Bildungsunwilligkeit. Es ist die Aufgabe der besser gestellten, der besser gebildeten, sich derer anzunehmen und sie auf ein Niveau zu führen, in dem sie informierter am politischen Willensbildungsprozess teilnehmen können.

Wenn es uns, als Gesellschaft, nicht gelingt, diese Mitmenschen, diese Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, so dass sie die Ziele eines friedlichen, gemeinsamen Europas zu ihren Zielen zu machen, sehe ich diesen Kontinent am Ende. Das, was uns in den letzten Jahren verbunden hat, waren die Ziele der Aufklärung, die Furcht vor einem weiteren, vielleicht endgültigen Krieg und der Glaube an das Gute im Menschen.

Viele, die jetzt eine Führungsrolle anstreben, sind berauscht vom Gedanken an persönliche Macht, vernarrt darin, andere Menschen zu führen, egal wohin, und vor allem möchten sie ihren eigenen Beutel füllen.

Wenn wir diejenigen, die den bei weitem größten Teil unserer Gesellschaft ausmachen, weiterhin herabsetzen, an Stelle ihnen auch in der Welt des 21. Jahrhunderts Möglichkeiten zu eröffnen, die ihr Leben wieder lebenswert erscheinen lassen, wird uns diese friedliche Union um die Ohren fliegen. Auch wenn das heute fast vergessen erscheint: das oberste Ziel der Römischen Verträge von 1957 war der Erhalt des Friedens. Ich glaube, wir waren in den vergangenen 30 Jahren nie so kurz davor, ihn hier in Europa wieder zu verlieren. Diese Union hat entschlossene, wenn auch selbstverliebte, Gegner. Wir müssen uns ihnen stellen.

Das begleitende Bild ist bewusst gewählt. Mir persönlich bietet Schottland immer wieder einen Rückzugsraum. Einen Platz zum Nachdenken, zum Runterkommen. Vielleicht zeigt sich das ja auch in den Menschen, die dort leben und in ihrer überwiegenden Mehrheit für den Verbleib in der Union gestimmt haben.

 

Next Exit Europe

When I went to bed on Friday morning, it was 1 p.m. in UK and things on the BBC looked O.K. Not great, but O.K. When some birds woke me up five hours later the unimaginable had happened.

Still that very evening I am sitting on a balcony on the sixth floor of a Munich flat taking pictures of a thunderstorm at the horizon, drinking Jeff’s Bavarian Ale brewed in Bayreuth.

Wetterleuchten © 2016 Thomas Michael Glaw

Wetterleuchten © 2016 Thomas Michael Glaw

Germans call far away thunderstorms “Wetterleuchten”, they are often considered foreboding. So Britain has voted itself out of the European Union. I would agree with my friend Nigel, that in the end it won’t be that bad. I do believe, that regulations will be worked out, allowing Europeans to work in UK (or whatever is going to remain of it) and vice versa.

I do also believe, that economic relations will continue. It won’t be easy because the British public chose to exit from a complicated, peaceful and prosperous, but certainly not easy partnership. For all the wrong reasons, if I may add.

I would encourage the young generation to continue to make Europe their home – no matter what an elderly majority feeling marginalized opted for. Britain has always been a pain in the *** for the continent as well as a wonderful partner.

Let’s have it our way. Let’s take the best from all the member states together. Let’s not forget, that this union first and foremost was established to guarantee peace after two devastating wars and economic prosperity remains only one factor in that process. Let’s not belittle those, who acted fearful or followed certain political scaremongers. Let us explain to them again and again what Europe is all about, and assure their social security.

And let’s stop some self-centred, power obsessed middle class upstarts drive a wonderful project against the wall.

Notizen aus der Provinz (2)

Friedrich Rückert beherrscht immer noch meine Gedanken. Gestern Abend hörte ich noch einmal seine Kindertotenlieder, gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau. Ein eigenartiger Mann, dieser Friedrich Rückert; Arabist, und doch der Jungdeutschen Bewegung verhaftet. Weltläufig, und doch eher in Coburg als in Berlin daheim.

Nach der schwierigen Spurensuche in Coburg wollten wir seinem Leben in Schweinfurt näher kommen – die Ausstellung dort, die man hochgreifend „Der Weltpoet“ betitelt hatte, klang vielversprechend. Auch wenn sich unsere Erwartungshaltung nach den Coburger Erfahrungen ein wenig gesenkt hatte.

Auf dem Weg nach Schweinfurt folgten wir noch ein wenig Victoria und Alberts Spuren , nachdem man sie uns ja in Coburg ständig um die Ohren gehauen hatte, allerdings nur in Form von Cafés oder Gaststätten, weniger in Form einer Auseinandersetzung mit der deutsch – britischen Freundschaft, dem Viktorianischen Zeitalter oder dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Man beschränkt sich in Coburg eher auf den Tourismus, und auch hier eher auf den, der nicht wiederkommt. Sonst hätte man vielleicht etwas weiter gedacht.

Ich vergaß zu erwähnen, dass es immer noch überwiegend tröpfelte.

Schloss Rosenau
„Wäre ich nicht, was ich bin, so wäre hier mein wahres Zuhause.“ schrieb Queen Victoria einst in ihr Tagebuch. Hier hat sie sich mit ihrem Albert immer besonders wohlgefühlt. Ein wenig kann man das, selbst an einem regnerischen und grauen Junitag, nachempfinden. Alles ist ein wenig kleiner, als am Hof in Buckingham Palace, besonders der Landschaftspark, in dem man die Sichtachsen leider nur noch erahnen kann, dürfte seinen besonderen Reiz gehabt haben.

Schloss Rosenau - © Thomas Michael Glaw 2016

Schloss Rosenau – © Thomas Michael Glaw 2016

Nachdem auch die staatliche Schlösser und Seenverwaltung eine Mittagszeit in Bayern einhält, blieb uns der Besuch einer weiteren innerlich aufgeschönten und touristengerecht ausgestatteten ehemaligen Adelsresidenz erspart. Der Spaziergang um das Haus erweckte allerdings durchaus Sympathien für die junge Königin. Man könnte sich hier zuhause fühlen. In die Gegenwart zurück holten einen höchsten die jungen Mädchen, die sich bei dem Versuch, möglichst vorteilhafte Selfies zu erstellen, vor diversen Hintergründen verrenkten.

Ach ja, die Vorliebe der Oberfranken für Nackedeis fanden wir auch im Schlosspark bestätigt. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das wäre eine weitere Skulptur, die ich aus meinem Besitz entfernen lassen würde. Ich weiß nicht, was (oder wie viel) den omnipräsenten Künstler mit den Stadtherren oder der bayerischen Staatsregierung verbindet- aber das macht seine Arbeiten nicht besser.

Nackedei auf Schloss Rosenau - © Thomas Michael Glaw 2016

Nackedei auf Schloss Rosenau – © Thomas Michael Glaw 2016

We do live in strange times.

Nun denn
Wir wollten ja dem Bierland Oberfranken, nach der Nietenlandschaft Coburg, noch eine Chance geben. Der Zufall führte uns zum Gasthof Grosch. Manchmal ist der Zufall eine tolle Sache. Ich war skeptisch. Ganz ehrlich. Richtig skeptisch. Das ganze sah aus wie eine Touristen Falle. Vielleicht hat es auch mit einem gewissen Mangel an ästhetischem Empfinden in Oberfranken zu tun, aber … Andererseits hatte ich mich schon von einem anderen Gasthof in der Umgebung mit Schaudern abgewandt, ein gewisser Hunger nagte an mir und wir mussten ja schließlich noch nach Schweinfurt. Also, Augen zu und durch. Von wegen.

Ein wunderbarer Schweinebraten oberfränkischer Prägung, ein mürber Sauerbraten – vielleicht sollte man nur dem jungen Mann in der Küche mal stecken, dass es einen Tisch gibt, von dem aus man seine Handlungen beobachten kann. Das Sauerkraut mit dem Finger in der Servierschüssel abzuschmecken ist … na ja, Schwamm drüber.

Fuhrmanntrunk aus dem Hause Grosch - © Thomas Michael Glaw 2016

Fuhrmannstrunk aus dem Hause Grosch – © Thomas Michael Glaw 2016

Frau Pilarzyk und ihre Mannen brauen zudem einige fürwahr treffliche Biere. Allen voran möchte ich hier das „1492“ erwähnen, mit Hopfen aus Bayern und den USA gebraut, feinherb, malzbetont mit einem Nachklang an Zitrusfrüchten. Schreibt die Besitzerin auf der Webseite. Und ausnahmsweise stimmt das sogar einmal. Zugegebenermaßen eine Ausnahme bei dieser Reise. Auch die anderen Biere, die wir probierten, das Erntebier, der Fuhrmannstrunk und das Prinz Albert Pils, waren überaus trinkbar. Der Luthertrunk erwies sich allerdings als lauwarme Plörre, die so gar nichts mit dem lebhaften Wesen ihres Namensgebers zu tun hatte. Vielleicht war es ja nur ein Zufall, wir würden trotzdem abraten.

Schweinfurt

Wanderer kommst du nach Schweinfurt … was erwartet man von einer alten Industriestadt, die im zweiten Weltkrieg von den Alliierten unter fadenscheinigen Gründen platt gemacht wurde? Gute Frage. Wiederaufbau? Eine Erinnerung an die fünfziger und sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts? Ein industrielles Coburg?

Letzteres wird der Erinnerung wohl am ehesten gerecht. Die gleichen Dönerbuden. Der gleiche Leerstand. Eine dröge Innenstadt, der die Charmeoffensive des Coburger Marktplatzes abging. Ach ja: Stadtbusse, die Fotografen ohne viel Federlesen einfach (zumindest beinahe) umnieten. Charmant.

Schweinfurter Gegensätze - © Thomas Michael Glaw 2016

Schweinfurter Gegensätze – © Thomas Michael Glaw 2016

Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass Schweinfurt die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges innerlich nie überwunden hat.

Aber wir wollten ja eine Ausstellung in der Schweinfurter Kunsthalle sehen, um die man einen großen Hype machte.

„Der Weltpoet. Friedrich Rückert“

Ein Sammelsurium mit Hintergrundgemurmel. Manches gewollt, auch wenn sich mir der Sinn nicht erschloss, manches amüsant, aber auch nervend, wenn sich das Aufsichtspersonal permanent über Nichtigkeiten unterhält und meint, das im Flüsterton tun zu müssen. Kenner und Liebhabern Friedrich Rückerts sei die Ausstellung empfohlen. Sie präsentiert interessante Dokumente und Verweise auf Personen, die ihnen vielleicht entgangen sind. Wer mit der Person und der Zeit nicht vertraut ist, verschwendet hier jedoch eher seine Zeit. Ein pseudomodernes Konzept verbirgt eher Schaffen und Persönlichkeit Rückerts, die historischen Begleitumstände werden, im wahrsten Sinne des Wortes, an den Rand gedrängt.

Fazit?
Eine Landschaft, der man vielleicht einmal zu Fuß nahe kommen sollte.
Ein Landstrich, in dem man seine kulinarischen Exkursionen genau planen muss.
Friedrich Rückert. Ein großer Mann, dem Oberfranken nicht einmal annähernd gerecht wird.

.
Reisepraktisches:

Kunsthalle Schweinfurt (Rückert Austellungen in Schweinfurt)
Rüfferstraße 4
97421 Schweinfurt

Schloss Rosenau (Schloss Rosenau)

Gasthof Grosch (Der Grosch)
Oeslauerstr. 115
D-96472 Rödental