Herbsttag

Herbsttag - © Thomas Michael Glaw

Herbsttag – © Thomas Michael Glaw

Ein fauler Tag. Das Gegengewicht zu einer ausgefüllten Woche. Nein, sie war nicht übervoll, aber voll. Es ist schön, an einem der letzten Oktobertage noch einmal die milde, wärmende Sonne zu genießen. Menschen zuzuschauen, die schon lange Schatten werfen. Rilke kommt einem in den Sinn. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren.

Letztere sind eher rar geworden. Die Menschheit vertraut der digitalen Spielart der Zeitmessung, am besten verbunden mit dem Handy. Briefmarkengroße bunte Bildchen, die uns stets daran erinnern, was gerade so geschieht, wer etwas von einem will, was man alles noch tun muss, wo man eigentlich sein sollte.

Mir geht manchmal der Sekundenzeiger auf meiner bald zwanzig Jahre alten Schweizer Uhr zu schnell.

© Thomas Michael Glaw

© Thomas Michael Glaw

Die milden Farben der Bäume und Sträucher lassen die harten Glas- und Betonkonstruktionen weicher erscheinen. Auf einem Spielplatz spielen Kinder unterschiedlicher Kulturen miteinander. Die Mütter sitzen immer noch brav getrennt. Kopftuch neben Kopftuch, Osteuropa neben Osteuropa, Fernost neben Fernost. Beim Fußball der unter 1,30 m großen scheint eher das Team der Vereinten Nationen unterwegs zu sein. Die Väter stehen vereinzelt am Spielfeldrand, die Hände in den Hosentaschen vergraben und scheinen auch nur mit denen zu sprechen, die in der jeweiligen Muttersprache parlieren können.

Ob es wirklich nur noch eine Generation dauern wird, bis all diese Jungen (Mädchen spielen in Neuperlach nur selten Fußball) in diesem Land, in diesem Kontinent gemeinsam an dessen Zukunft bauen werden? Und die Mädchen auch?

Herbsttag - © Thomas Michael Glaw 2016

Herbsttag – © Thomas Michael Glaw 2016

Die Herbstsonne bleibt bei ihrem milden Licht, auch wenn es langsam kühler wird. Immerhin haben wir heute eine geschenkte Stunde. Nein, von den Kindern gibt es keine Bilder. Ich hätte ja jede einzelne Mutter, jeden einzelnen Vater fragen müssen.

Pariser Momente

Ein letztes Mal möchte ich einige Worte zum meinem letzten Besuch in Paris verlieren. Es ist viel darüber geschrieben worden, wie sich die Atmosphäre in Frankreich im Allgemeinen und in Paris im Besonderen geändert hätte. Es ist wahr, man sieht mehr Bewaffnete auf den Straßen, es sind auch deutlich mehr Schnellfeuerwaffen präsent als hier in München beispielsweise. Dennoch hat man den Eindruck, dass die Pariser damit viel eher umgehen, wie diese Spatzen am Gare de Lyon.

Spatzen am Gare de Lyon - © Thomas Michael Glaw

Spatzen am Gare de Lyon – © Thomas Michael Glaw

Nicht nur lassen sie sich ihren Lebensmut nicht nehmen, in der Stadt schwingt auch immer noch eine gewisse Fröhlichkeit. Anders als in den USA, wo, zumindest in den Städten der Ostküste, eine Art permanenter Terrorwarnung sich auch auf das Gemüt der Bewohner gelegt zu haben scheint, kann man in Paris immer noch jene kleinen Momente beobachten, die seit Jahrhunderten die Fantasie der Schriftsteller, Dichter, Komponisten und Maler anregt.

Menschen im Jardin du Luxembourg - © Thomas Michael Glaw

Menschen im Jardin du Luxembourg – © Thomas Michael Glaw

Was mögen die beiden gedacht haben, als sie da im Park saßen? Worüber mögen sie gesprochen haben? Der Park war voll von lesenden Menschen, Pärchen, die sich unterhielten oder im Arm hielten, die Boule Bahnen waren voll belegt, obwohl das Wetter sehr spätherbstlich war.

Stain Germain des Pres - © Thomas Michael Glaw

Saint Germain des Pres – © Thomas Michael Glaw

Wenn man durch Saint Germain des Pres geht, kann man sich von Verlag zu Verlag, von Buchhandlung zu Buchhandlung hangeln. Überall stehen Menschen vor den Schaufenstern, um die Auslagen zu betrachten. Manchmal sind es spezielle Themen, oft auch einfach schöne Bücher. Die Bestseller scheint man eher FNAC zu überlassen, von denen ich jedoch glücklicherweise noch keine Niederlassung im Viertel gefunden habe. Was mögen die beiden Damen wohl unter dem Titel „Der Baum des Reisenden“ vermutet haben?

Am Ufer der Seine - © Thomas Michael Glaw

Am Ufer der Seine – © Thomas Michael Glaw

Ein Tag später. Nichts geht über einen Spaziergang an der Seine am Sonntag Morgen. Jung und alt scheint sich da zu treffen. Die Jogger sehen nicht ganz so verbissen aus, wie bei uns in München, und Radfahrer gehen mit Fußgängern deutlich achtsamer um, als das hier unsere ambitionierten MTB Spezialisten in Schwabing, Haidhausen oder eben auch an der Isar tun. Trotz Sonnenschein war es ein wenig frisch, deshalb hat die Herrin ihrem vierbeinigen Liebling einen hübschen Pulli von sich spendiert.

Institut du Monde Arabe - © Thomas Michael Glaw

Institut du Monde Arabe – © Thomas Michael Glaw

Ich wollte auch einen Blick auf das „Institute du Monde Arabe“ werfen, das sich leider im Moment in einem ähnlich desolaten Zustand, wie die arabische Welt als Ganzes, befindet. Mir erschienen die verbarrikadierten Fenster in dem zu renovierenden Gebäude in vieler Hinsicht als Sinnbilder des selbstzerfleischenden Wahnsinns, der sich gerade in diesem Teil der Welt abspielt und große Teile einer wichtigen und wunderbaren Kultur zerstört. Es besteht zumindest die Hoffnung, dass das  arabische Institut in Paris in den nächsten Monaten wiederhergestellt sein wird.

Der Abschied aus Paris fiel wie immer schwer. Auch wenn mir das Heimkommen wichtig ist und immer wieder große Freude bereitet: Manchmal wünschte ich mir, an mehreren Orten, wenn schon  nicht gleichzeitig, dann doch nebeneinander, leben zu können.

Haussmann

Wenn man an einem sonnigen Oktobertag durch Paris läuft, gibt es viele Momente, an denen man Georges Eugène Haussmann dankbar ist. Der Umbau der Stadt Paris ist zu seinen Lebzeiten und auch danach oft kritisiert worden. Egon Friedell sah das „neue Paris“ Haussmanns 1931 in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit als „getreues Abbild des Zweiten Kaiserreichs: fassadenhaft, niederschreiend, künstlich und parvenühaft“.

Paris 2016 - © Thomas Michael Glaw

Paris 2016 – © Thomas Michael Glaw

Ich würde dem Meister fünfundsiebzig Jahre später gerne widersprechen. Die Sichtachsen, die Haussmann geschaffen hat, und die bis heute Bestand haben, machen Paris leicht. Ja sogar durchsichtig . Wenn man den Hügel hinab schaut, sieht man an der Peripherie die Hochhäuser, die das Paris des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts widerspiegeln.

Das alte Paris findet sich in Fotografien. Charles Marville ist einer der Chronisten, Brassai ebenso. Ihre Arbeit wäre heute unmöglich, weil der Staat das Recht des Einzelnen auf „informationelle Selbstbestimmung“ höher einschätzt, als das Recht der Fotografen, ihre Kunst auszuüben. Bisweilen denke ich, dass der Schutz individueller Rechte die Kultur als solche ein wenig ärmer macht.

La Seine - © Thomas Michael Glaw

La Seine – © Thomas Michael Glaw

Wo ist die Seele dieser Stadt?

Paris und die Pariser haben, ebenso wie Frankreich und die Franzosen, oft und mit durchaus unsympathisch gallischem Impetus um ihre Unabhängigkeit gerungen. Frankreich hat den letzten großen Krieg nur siegreich überstanden, weil die Amerikaner mit ihrer gewaltigen Kriegsmaschinerie die Deutschen schlugen. Die Pariser weigern sich trotzdem, den Sieg des ungebremsten Kapitalismus zur Kenntnis zu nehmen. Das macht sie sympathisch, auch wenn es ein wenig unrealistisch scheint.

Man sieht an einem Sonntagmorgen, einmal abgesehen von unzähligen Touristen entlang der Seine und in der Nähe der angesagten Stätten, viele Pariser unterschiedlichster Rasse und Herkunft, allein, mit Familie, mit gleichgeschlechtlichem Partner, die ein unbewusstes Zeichen für die Unabhängigkeit und Schönheit dieser Stadt setzen. Es ist ein leichtes Flanieren, ein lächelndes Da-Sein. Kinder in kleinen Kinderwägen, nicht in SUV Buggies, wie in München. Offenen Blumenläden, Männer und Frauen, die nach einem Strauß suchen.

Boulevards - © Thomas Michael Glaw

Boulevards – © Thomas Michael Glaw

Und doch ist Paris heute eine Stadt, in der die Angst fühlbar ist. Standen früher Soldaten oder Angehöriger der Garde Républicaine mit alten Karabinern Wache, so sind es heute Angehörige der Streitkräfte mit umgeschnallten Schnellfeuerwaffen. Man kann nur beten, dass sie diese Waffen nie dort einsetzen müssen, denn es sind Waffen, die für den Kriegseinsatz konzipiert wurden. Ähnlich fragwürdig sind die stets präsenten Polizisten mit Maschinenpistole vor jeder Polizeiwache. Mit viel Glück schießen sie sich nicht in den eigenen Fuß oder töten ihren Kollegen oder ihre Kollegin.

Im Stadtwappen von Paris steht „Fluctuat nec mergitur“. Wenn man durch die lichten Straßen, in denen die tief stehende Sonne eines frühen Herbstes Schatten wirft, läuft, ist man bereit, diesem Motto Glauben zu schenken. Paris wird nicht untergehen.  Im Gegensatz zu München, ist Paris eine Stadt der Gegensätze, die gelernt haben, miteinander zu leben. Es ist vielleicht eine Art von erzwungenem Miteinander. Bewusst wird einem das, wenn man den RER zum Flughafen nimmt. Je dröger die Umgebung wird, je langweiliger, je silohafter die Häuser, umso weniger Weiße hat der Zug an Bord. Der Zug nach „Paris Charles de Gaulle“ fährt mitten durch die Banlieue. Trotz aller gegenteiliger Berichte, glaubte ich jedoch eine ruhige Würde bei den Müttern mit Kindern, den älteren Männern, die langsam ihren Maiskolben verzehrten, und auch den jüngeren, die sich wie alle anderen ihren Alters vor allem mit dem Smartphone beschäftigten, zu spüren.

Im „New Yorker“ dieser Woche findet sich eine Statistik, die besagt, dass weiße Haushalte den siebenfachen Wohlstand der schwarzen Haushalte akkumuliert haben. Vielleicht ist das ja in Paris oder München ähnlich. Vielleicht bieten auch unsere Gesellschaften Zuwanderern keinen wirklich fairen Zugang zum Arbeitsmarkt. Sicher ist Donald Trumps Aussage, der Schwarze sei faul, schlicht falsch. Vielleicht ist es meine romantische Ader, die all dies zu sehr auf die leichte Schulter nimmt. Trotzdem finde ich, dass das lichte Paris, in dem so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft den sonnigen Nachmittag genießen, Hoffnung macht. Hoffnung auf andere Zeiten, die wir nur gemeinsam erreichen können.

Invalidendom Paris - © Thomas Michael Glaw

Invalidendom Paris – © Thomas Michael Glaw

Die Weite des Blicks in Paris ist immer wieder faszinierend. Ich empfinde auch das Miteinander der Menschen im Stadtzentrum als Hoffnungsschimmer. Ich weiß, es leben die Menschen im Banlieue. Ich weiß, ihre Chancen sind offenbar beschränkt. Aber sie haben Chancen. Es mag merkwürdig erscheinen, aber ich finde die Chancen in dieser großen Stadt Paris greifbarer als in meiner temporären Heimat München. Vielleicht ist es ja die Illusion der Weite.

 

Der Bauch von Paris

Nein, wir reden hier nicht über Florent, denn es geht nicht um Emile Zolas Roman und auch nicht um die alten Markthallen von Paris, die übereifrige Stadtplaner in ein Viertel verwandelt haben, von dem ich lieber schweige als spreche.

Mir geht es um den Bauch der Pariser, genauer gesagt, um die Dinge, mit denen sie ihn zu füllen gedenken. Wenn man an einem Samstagmorgen in einem beliebigen Pariser Stadtviertel spazieren geht, in meinem Fall war es das 13. Arrondissement, begegnen einem zahlreiche Menschen mit einem „Pflasterporsche“. In Deutschland benutzt man dieses Wort, um, ein wenig despektierlich, das Wägelchen zu beschreiben, das ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger hinter sich herziehen, um hernach ihre Einkäufe nach Hause zu transportieren. In Paris benutzt man es zu dem nämlichen Zwecke, nur dass Jung und Alt zu diesem Hilfsmittel greifen, um wunderbar frische Lebensmittel einzukaufen. Während in Deutschland die Packungen, die „Lidl“, „Aldi“ oder irgendeinen anderen Discounter verkünden, aus der Tasche ragen, so sind es in Paris frisches Gemüse, Obst, Einwickelpapier vom Metzger, von Fischhändler, aus dem Käsegeschäft, oder die Hälse der Flaschen, die man beim Weinhändler erstanden hat.

Paris - Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Paris – Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Gehen Sie einfach einmal durch eine Straße wie die Rue Mouffetard und Sie werden aus dem Staunen nicht mehr hinauskommen. Fisch, bei dessen Duft Sie nur an das Meer denken, Metzger, wo Sie nicht nur das Übliche bekommen, sondern auch frischen Hasen, frisches Kaninchen, diverse Arten von Geflügel, Käsegeschäfte, bei deren Auswahl die völlig überteuerten Käsetandler auf meinem heimischen Viktualienmarkt blass werden dürften und eine qualitativ hochstehende Weinauswahl zu akzeptablen Preisen, die hierzulande ihres Gleichen sucht.

Paris - Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Paris – Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Sie sagen, die Rue Mouffetard sei mittlerweile eine Touristenattraktion? Mag sein – Hausmann hat sie bei seiner Umgestaltung von Paris außen vorgelassen, weil sie auf einem Hügel liegt. Das führte dazu, dass sie ein wenig ihres mittelalterlichen Charakters erhalten konnte. Aber es sind die Pariser, die dort einkaufen, nicht die Touristen. Mit den Händlern kann man reden, scherzen, ihre Produkte probieren. Man kann sich von einer Woge unterschiedlichster Düfte tragen lassen.

Zu den Düften gehören im Übrigen auch die Backwaren. Ein Freund, den ich mehr oder weniger zufällig in Paris traf, sagte mir, dass er es sich nur schwer vorstellen könne, ohne deutsches Brot zu leben. Gewiss, auch mir würde ohne die Hofpfisterei in München etwas fehlen. Andererseits passt dieses herrlich „resche“ Brot, wie der Bayer sagt, das man hier in Paris erstehen kann, einfach perfekt zu sehr vielen Gerichten und der Duft der Backstuben ist unvergleichlich. Gehen Sie einfach einmal durch Paris und halten Sie nach einem Artisan Boulanger Ausschau, nach einem handwerklichen Bäcker. Sie werden ihn an jeder zweiten Straßenecke finden. Wo Sie bei uns nur noch den Krampf aus der Fabrik bekommen, gibt es dort noch viele Bäcker.

Paris - Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Paris – Rue Mouffetard © Thomas Michael Glaw

Straßen wie diese, Märkte wie diese, die sich im Übrigen überall in Paris finden lassen, stellen für mich einen der größten Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich dar. Auch wenn sich in der deutschen Küche einiges zum Besseren gewandelt hat, so geht hierzulande immer noch Masse vor Klasse – sonst hätten wir nicht an jeder Straßenecke einen Discounter. Menschen, die hier qualitativ hochwertige Lebensmittel kaufen, verbinden damit häufig eine Mission (Gesundheit, Artenschutz, Religion). Ich will dagegen gar nichts einwenden, aber ich finde es großartig, dass die Franzosen – zumindest überwiegend – allein des Geschmacks wegen zu frischen, saisonalen und regionalen Produkten greifen.

Wenn ich über diese Märkte gehe bedauere ich immer, in Paris keine Wohnung zu haben und selbst zum Kochlöffel greifen zu können. Irgendwann einmal … Mir kam auch der Markt in Münster in den Sinn, als ich diese Zeilen schrieb. Auch dort hat man die Gelegenheit gut einzukaufen – auch wenn das Ambiente vielleicht ganz an die Rue Mouffetard heran reicht. Letzten Herbst erstand ich dort sogar einmal einige Goldparmänen, die meinem Apfelrotkohl nach Elsässer Rezept einen unvergleichlichen Geschmack verliehen.

Irisches Tagebuch (Teil fünf)

Es ist unfair, ich weiß. Man kann einen heißen Tag, mit unglaublich blauem Himmel in Triest nicht mit einem Tag in Dublin vergleichen.

Und doch kommt es nur auf das Tertium Comparationis an.

In diesem Fall ist es James Joyce.

Eigentlich war ich nach Triest gefahren, um nach langer Zeit einmal wieder in der Stadt Italo Svevos so weilen. Doch wirklich, ich wollte dort weilen. Italo Svevo, der als Aron Hector Schmitz geboren wurde, gehört für mich zu den faszinierendsten italienischen Literaten des zwanzigsten Jahrhunderts. Gewissermaßen habe ich vor vielen Jahren italienisch gelernt, um endlich einmal „La coscienza di Zeno“ im Original lesen zu können.

Svevo lernte Joyce bei der Konkurrenz kennen. James Joyce arbeitete als Englischlehrer in Triest bei Berlitz, die auch heute noch miserabel zahlen. Sie befreundeten sich und Joyce spornte den älteren Svevo zum Weiterschreiben an.

Triest - © Thomas Michael Glaw

Triest – © Thomas Michael Glaw

Man mag es dem Tourismus zurechnen, trotzdem finde ich es schön, in Triest kleine Täfelchen zu finden, die auf den einen oder anderen der beiden hinweisen. Die ersten entdeckten wir im Café „Stella Polare“, wo wir uns nach einer umständlichen Parkplatzsuche einen Espresso und ein Glas Wasser gönnten.

Svevo und Joyce. Joyce, der Meister des inneren Monologs, den man als Schüler hasst, weil Lehrer, die ihn mit Liebe erklären können (und seine Bedeutung vielleicht sogar selber verstanden haben), rar sind und weil man zudem zu jung  ist, um Leopold Bloom oder Marion zu verstehen. In ein paar Tagen werde ich wieder in Paris vor der Buchhandlung stehen, die das Erscheinen dieses großartigen Buches erst ermöglichte. Und Italo Svevo, dessen subtiler Triester Humor auch in den modernen Übersetzungen in die deutsche oder englische Sprache nicht völlig wahrzunehmen ist.

Joyce und Svevo in Triest - © Thomas Michael Glaw

Joyce und Svevo in Triest – © Thomas Michael Glaw

Ich sehe die beiden in diesem Café. Ich sehe sie in den schmalen Straßen dieser Stadt am Meer.

Ich gebe gerne zu, dass mein Bild von Dublin durch Joyce, Shaw  und Flann O’Brien geprägt ist. Umso größer war der Schock, als wir uns von unserem bescheidenen Hotel in der Peripherie ins Zentrum aufmachten. Freunde hatten mich gewarnt. Dublin sei ein „dump“, angefüllt mit jungen Leuten, die möglichst schnell möglichst große Mengen Alkohol in sich hinein schütten wollen.  Es sei eine Stadt, die, abgesehen von den angesagten Vergnügungsvierteln, am Verfallen sei, es sei eine gespaltene Stadt.

Meine Freunde hatten Recht

Dublin - © Thomas Michael Glaw

Dublin – © Thomas Michael Glaw

Ganz ehrlich: ich hatte auch die Kleinstädte in Clare nicht als besonders reizvoll empfunden. Limerick, wo wir auf dem Weg ein schnelles Lunch zu uns nehmen wollten, empfand ich als oberflächlich und langweilig. Vielleicht war die Enttäuschung in Dublin nur ob der Erwartungshaltung so groß. Die Fallhöhe bestimmt letztendlich den Schmerz.

Nein, ich hatte wirklich nicht das Dublin Leopold Blooms erwartet. Aber ich hatte eine irische Großstadt erwartet, die mit ihrer eigenen Geschichte synchron läuft. Die die Brüche lebt und versteht. Die nicht irgendwelche Pseudomonumente verehrt, sondern sich aktiv mit ihren Werten auseinandersetzt. Einmal davon abgesehen, dass man in Dublin praktisch nirgendwo etwas erträgliches essen kann.

Dublin - © Thomas Michael Glaw

Dublin – © Thomas Michael Glaw

Dublin ist ein wenig so, als gäbe es hier in München an jeder Ecke ein Hofbräuhaus und zudem ein permanentes Oktoberfest. Ich finde das Oktoberfest für zwei Wochen und die Existenz eines Hofbräuhaus schlimm genug.

Ich werde nach Irland zurückkehren, weil ich mich in das Land, seine Küste, seine Hügel und die Menschen dort verliebt habe. Ich habe mich in die Wirklichkeit verliebt. Eine Wirklichkeit jenseits von Tourismus, Langeweile, Alkohol und schlechter Volksmusik.

Triest - © Thomas Michael Glaw

Triest – © Thomas Michael Glaw

Wenn ich die Bilder vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse, kann ich mich von dem Gedanken nicht lösen, dass Irland immer noch nicht wirklich frei ist. Es mag sich politisch emanzipiert haben, die Vergangenheit hängt aber immer noch über dem Land, so wie die grauen Wolken an jenem Samstag über Dublin hingen. Vielleicht braucht es ja den blauen Triester Himmel und ein wenig Wärme. Vielleicht auch ein bisschen weniger Alkohol.