Leere

Leere ist ein Gefühl, dass mich an jedem Freitag vor Ostern immer stark umfängt. Heute ist es vor allem ein Ereignis, an das ich dabei denke.

Vor einigen Wochen kündigte ein Pfarrer an, dass er gehe. Er meinte damit, er verlasse seine Gemeinde und ginge zunächst einmal in ein Kloster. Er lasse alles zurück. Mein erster Gedanke war, er lässt vor allem die Menschen zurück, die ihm vertraut hatten, die ihm bei vielen spektakulären Ideen gefolgt waren, die durch ihn auch wieder zu einem oder gar ihrem Glauben gefunden hatten.

Sein Weggang hinterlässt eine Leere.

Ich misstraue einfachen Erklärungen, denn unser Leben und auch wir selbst sind zu komplex dafür. Was bleibt ist Leere.

Kann Leere die Antwort auf das Suchen sein? Suchen wir gar die Leere?

Meer bei Ostia (Aus dem Projekt Strandgut)

Meer bei Ostia (Aus dem Zyklus Strandgut)

Man kann in der Leere ganz bei sich sein, es gibt Meditationen, die genau dieses erstreben. Ebenso kann man in der Masse einsam sein. Wenn ich in den letzten Tagen die Bilder aus Idomeni sah, dachte ich mir oft, dass die Menschen, die an diesem Ort auf Gedeih oder Verderb über die Grenze gelangen wollten, trotz der Masse sehr einsam wirkten. Allein, trotz der vielen. Verzweifelt.

Gedanken, die zum heutigen Tag passen.

Das Kreuz hat sich geändert. Wir schlagen keine Menschen mehr daran, aber trotzdem würde sich die große Mehrheit der Europäer die vielen kleinen und großen Kreuze am liebsten nur aus einer ganz großen Distanz betrachten.

Für mich liegt im Zusammentreffen von Himmel und Erde, oder in diesem Fall von Himmel und Meer, immer eine große Zuversicht. Ich vermag das nicht nicht zu erklären. Es ist, als ob sich am alles wieder treffe, alles wieder aufeinander zugehe, alles wieder eins werde.

Meer bei Cadiz (Aus dem Projekt Strandgu)

Meer bei Cadiz (Aus dem Zyklus Strandgut)

 

Jesus war einsam am Kreuz, auch wenn er von Menschen umgeben war.

War auch auch Gott einsam, als er seinen Sohn da hängen sah?

Wir stehen oft einsam in der Masse, einsam vor einander, wohl auch einsam, zweifelnd, wenn nicht gar verzweifelnd, vor Gott; einsam vor dem Kreuz.

Wen opfern wir heute?

Gleichzeitig – März

Gastbeitrag von Dorothea Elsner

Washington D.C.
Im Tunnel einer U-Bahnstation.

Washington Subway

Washington Subway


Ein einzelner junger Mann schaut gebannt auf sein Handy, während er auf die U-Bahn wartet. Mit Ausnahme der Leere der Station ein nahezu alltägliches Bild: Während des Wartens, Essens, dem Kaffeetrinken oder auch allen anderen Tätigkeiten sind wir Dank moderner Technik zunehmend an mehreren Orten gleichzeitig:

Der mp3-Player ersetzt die Umgebungsgeräusche gegen den Lieblingstrack, während wir mit dem Handy gleichzeitig schnell noch die letzten Mails checken, uns per Facebook mit einem Morgengruß in der Community zurückmelden, aktuelle Infos oder Belanglosigkeiten per WhatsApp an die Freunde in aller Welt posten. Immer erreichbar, immer informiert, rund um die Uhr vernetzt.

Manchmal zieht mich die virtuelle Welt so in Ihren Bann, dass ich von der realen Welt kaum noch etwas mitbekomme.

Aber wo bin ich eigentlich wirklich? Nehme ich mich selbst noch wahr, wenn ich gleichzeitig an verschiedenen Orten bin, immer verfügbar, virtuell sichtbar für alle?
Kann ich mich noch auf das Hier konzentrieren und ganz da sein?

Bei den Vortreffen zu diversen Bildungswochen stellten die Jugendlichen oft die Frage nach dem Handyempfang im Bildungshaus. Aufgrund der umliegenden Berge war dieser bis vor ein paar Jahren nahezu Null. „Gut, dann bin ich endlich mal nicht erreichbar“ war daraufhin die Reaktion vieler Jugendlicher.

Mal wirklich nur dort zu sein, wo man auch physikalisch gerade ist,
sich ganz auf die Situation und sein Gegenüber einlassen zu können,
sich bei einem Gespräch persönlich in die Augen zu schauen und auch schwierige Situationen miteinander zu meistern,
mal abschalten zu können
und sich selbst wieder wahrzunehmen.

Eine selten gewordene Erfahrung, die manchmal erst dadurch möglich wird, dass die Technik versagt.

Bei einem genaueren Blick auf das Bild entdecke ich eine junge Frau, die den Bahnsteig herunter läuft – vielleicht wartete der junge Mann ja auch gar nicht auf die U-Bahn.
🙂

Dorothea Elsner kommentiert in ihren monatlichen Beiträgen die Blätter unseres gemeinsamen Jahreskalenders „Stadtmomente“ 2014. Den vollständigen Kalender finden Sie unter http://www.thomasmichaelglaw.com

Ferragosto

Vor zwei Wochen verschlug mich ein Fotoprojekt am 15. August nach Mailand. Ich war mir zwar der Tatsache bewusst, dass dieser Tag von den meisten Italienern, wenn irgendwie möglich, am Strand verbracht wird, ja dass es sogar Tagestouren mit Bussen gibt, in denen die Italiener mit Kind und Kegel für einen Tag zum Baden gekarrt werden. Letzteres wurde mir klar, als sich der Inhalt eines solchen Busses um neun Uhr abends über mich ergoss, der ich da schutzlos und völlig unbedarft auf der Suche nach einer Bar für einen Aperitif war. Nicht nur Kind und Kegel, vor allem auch jede Menge Sand, der dann beim aussteigen in alle Himmelsrichtungen verteilt wird.

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Aber zurück zu Milano an Ferragosto. Wir waren eigentlich unterwegs um in Oberitalien Piazze zu fotografieren für ein Projekt, das sich fotografisch mit der Bedeutung jener traditionellen Plätze im städtischen Leben Italiens heute auseinandersetzt. Wir hatten schon Trento, Verona, Mantova und Bergamo besucht auf der Suche nach optisch Aussagekräftigem.

Unser erster Weg an diesem 15. August führte uns zur Piazza del Duomo, dem Domplatz. Ihn fanden wir, wie erwartet fest in der Hand der üblichen Touristen, in diesem Fall überwiegend aus dem arabischen Raum und aus China ( „i cinesi“, wie die Italiener immer mit leicht unheilsschwangerem Unterton sagten), leider stand die Sonne falsch und nachdem kosmologische Veränderungen nicht in der Macht der Fotografen liegen, beschlossen wir später wieder zu kommen.

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Leichtes Erstaunen bemächtigte sich jedoch unser, als wir unsere Schritte ein wenig vom touristischen Trubel in Mailands Mitte weglenkten. Waren da zunächst noch vereinzelte Menschen auf den Straßen, so waren wir einige Minuten später die einzigen. Die Stadt, ganze Straßenzüge waren menschenleer. So unbewohnt hatten wir uns Mailand nicht vorgestellt an Ferragosto … auch wenn sich daraus fotografisch interessante Momente und Kleinodien ergaben, von denen ein paar hier zu sehen sind.

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Man wird aber auch nachdenklich. Mich erinnerten die Bilder an einige Romane, die ich bevor mehr als 20 Jahren im Rahmen meiner Doktorarbeit las. Menschenleere Städte nach der großen Katastrophe. Es ist ein eigenartiges Gefühl Straßenzüge zu durchmessen ohne einem Menschen zu begegnen. Ich erinnerte mich an eine Stelle in Max Frischs „Homo Faber“, als Faber über die vermeintlich Einsamkeit des modernen Menschen, auch wenn er vom Trubel des Lebens umgeben ist, philosophiert. Das Gefühl völligen Einsamkeit wollte sich bei uns nicht einstellen, da zumindest ab und an eine bis auf den Fahrer Tram vorbei ratterte oder zwei gelangweilte Carabinieri die beiden merkwürdigen Gestalten mit ihren schweren Fototaschen aus ihren klimatisierten Alfa Romeos heraus begutachteten.

Manchmal wäre mir ein wenig mehr Einsamkeit, als ich in meinem bisweilen recht hektischen Leben bekomme, durchaus willkommen. Das Nachdenken fällt, zumindest mir, leichter, wenn ich mit meinen Gedanken allein bin. In einer Zeit, in der man fast zwanghaft alles in Gruppen tut, mag das merkwürdig erscheinen, doch denke ich, wir sollten die Einsamkeit ein wenig mehr suchen und uns ihr auch stellen. In mancher Hinsicht stellen wir uns damit auch uns selbst.

Nun ja, am Mailänder Hauptbahnhof, der Stazione Centrale, holte uns der Massenbetrieb wieder ein, das Tramezzino war eine willkommene Stärkung. Wer immer Italien, mal abgesehen von Tourismuszielen, jedoch menschenleer fotografieren will und dazu nicht unbedingt in der Früh um halb fünf auf der Piazza Venezia in Rom stehen möchte, dem sei Ferragosto, im wahrsten Sinne des Wortes, wärmstens empfohlen.

Vuoto

Leer.

Warum ich diesem Blog ausgerechnet „vuoto“ nannte? Nun es ist das italienische Wort für „leer“ und ich wurde irgendwann diese Woche um halb vier wach und sah mich mitten in der Nacht in einem leeren in ATAC Bus. Gut, das war jetzt ein kleiner Scherz für Eingeweihte, ATAC ist die römische Nahverkehrsgesellschaft.

Es ist mir tatsächlich schon gelungen in einem Bus nach Mitternacht, ich glaube es war der 116er, ohne einen anderen Passagier vom Vatikan zur Piazza dei Fiori zu fahren. Ein eigenartiges Gefühl in einer Stadt wie Rom mitten in der Nacht allein in einem Bus zu sitzen.

Einsamkeit.

Roma

Roma

Man kann auch in Mitten von vielen Menschen einsam sein, wirkliche Einsamkeit bedarf jedoch einer gewissen äußeren Leere. Es ist heute recht schwierig geworden diese Einsamkeit zu finden. Die 12 Quadratmeter meines Arbeitszimmers stehen bisweilen zur Verfügung, und wenn man zur rechten Zeit auf dem Weg zu einem möglichst unbekannten Gipfel ist, kann es selbst heute noch vorkommen, dass man allein unterwegs ist.

Aber sonst?

Man kann sich abkapseln, den Rest ausblenden .. mein alter Zen Meister hätte vermutlich ob meiner Probleme gelächelt. Aber ich habe es halt auch nie zur Meisterschaft gebracht.

Trotzdem fühlte ich diese Woche oft die Leere.
Vuoto.

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Abkapseln

Es war nicht die Leere, die ein Ding erst schön machen kann. Die Leere, die sich in der Kunst findet. Die Leere, die in der Fotografie einem Objekt erst zu seiner wirklichen Fülle verhilft.

Fülle.

Der Gegensatz zur Leere. Leben in Fülle. Da war einer, der das verheißen hat. Ob er sich dessen bewusst war, was in unserem Leben passiert? Nein, ich meine jetzt nicht nur unser Leben heute, das uns, ob der digitalen Zeiten, oder der Geschwindigkeit unseres Daseins im 21. Jahrhunderts leer vorkommen mag.

Ich meine das Leben eines jeden Einzelnen – so wie wir es seit hunderten, ja seit tausenden Jahren leben und erleben.
Ein Leben, das immer wieder mit einer erdrückenden Leere gefüllt sein kann.
Ja, ich bin mir durchaus bewusst, dass dieses Bild sprachlich in einer gewissen Schieflage ist.

Leere kann schön sein.
Inspirierend.
Befreiend.
Also frei machend zu Neuem.

Aber sie kann einen auch noch tiefer in ein Loch ziehen, das letztendlich auch für Leere steht.

Hoffen wir auf ein Leben in Fülle.
Ein Leben, das uns ausfüllen wird.